Rekursverfahren nimmt seinen ordentlichen Gang
Am 12. Oktober reichten Christian Häberli von der IG Grubenacker, AL-Fraktionspräsident Andreas Kirstein und ich beim Bezirksrat Stimmrechtsrekurs gegen die schönfärberische Comic-Zeichnung von Matthias Gnehm in der städtischen Abstimmungszeitung zum Gestaltungsplan Thurgauerstrasse ein und verlangten die Ergänzung durch eine sachliche Illustration. Wie es sich gehört, ordnete der Bezirksrat dazu einen Schriftenwechsel an. Am 19. Oktober nahm der Stadtrat fristgemäss Stellung und wies die Kritik und die Anträge der Rekurrenten vollumfänglich zurück, am 27. Oktober reichten die Rekurrenten ihrerseits eine Replik ein. Soweit alles Business as usual.
Visualisierungs-Comic von Matthias Gnehm in der Abstimmungszeitung
Stadtrat krebst subito zürück
Am 16. Oktober publizierte ich zum Ganzen meinen Blog «Gestaltungsplan Thurgauerstrasse: Märlistunde bei André», der einen kleinen medialen Wirbel auslöste. Was ich damals allerdings nicht wusste: bereits am Tag zuvor hatte der Stadtrat reagiert. Auf Antrag von Stadtschreiberin Claudia Cuche ordnete Stadtrat Andreas Hauri als zweiter Stellvertreter der offenbar abwesenden Stadtpräsidentin mit einer Präsidialverfügung (STRB 2020/934) am 15. Oktober an, umgehend ein Beiblatt mit dem Modellbild der Testplanung Thurgauerstrasse zu drucken und der Abstimmungszeitung als Ergänzung beizulegen. Und damit die Korrektur-Forderung der Rekurrenten zu erfüllen. Offenbar hat sich da der Rechtskonsulent des Stadtrats mit seinen Bedenken durchgesetzt. Begründet wird der ebenso prompte wie bemerkenswerte Rückzieher im Beschluss diplomatisch und gesichtswahrend wie folgt:
«Der Druck der Abstimmungspublikation ist bereits erfolgt und zum Versand bereit. Hingegen reicht die Zeit, um ein Beiblatt mit einer weiteren Illustration gemäss den Vorstellungen der Rekurrierenden zu produzieren und zusammen mit den Stimmunterlagen zu versenden. Dieses Vorgehen erscheint zweckmässig, um den Risiken eines langwierigen Rechtsmittelverfahrens präventiv zu begegnen.»
Etwas verschwurbelt gesteht der Stadtrat im Kommentar auf dem Beiblatt seine Comic-Schummelei ein:
«Die hier ergänzend zur Verfügung gestellte Abbildung zeigt das städtebauliche Richtprojekt, das dem Gestaltungsplan zugrunde liegt, aus einer anderen Perspektive. Insbesondere zeigt sie den Gesamtkontext der Planung mit Einbezug der Nachbarschaften und ihren unterschiedlichen Massstäblichkeiten.»
Modellbild im Beiblatt zur Abstimmungszeitung
Peinlicher Rückzieher wird verschwiegen
Publik wurde der stadträtliche Umfaller allerdings erst am 29. Oktober, als Hauris Präsidialverfügung in der Rubrik der veröffentlichten Stadtratsbeschlüssen auf der Webseite der Stadt kommentarlos aufgeschaltet wurde. Medienmitteilung? Fehlanzeige. Information der Rekurrenten? Denkste. Auch in der vier Tage nach Erlass der Präsidialverfügung eingereichten, diesmal von der Stadtpräsidentin persönlich unterzeichneten Vernehmlassung an den Bezirksrat keine Silbe zur bereits angeordneten Korrektur. Im Gegenteil: in der offenbar aus der Küche von Hochbauvorsteher Odermatt stammenden Stellungnahme schaltete die Exekutive voll auf Vorwärtsverteidigung und wies die Kritik der Rekurrenten in Bausch und Bogen zurück. Und verlangte sogar ausdrücklich einen Feststellungsentscheid des Bezirksrats, dass auch künftig Comic-Zeichnungen in städtischen Abstimmungszeitungen eingesetzt werden dürfen. All das obwohl der Präsidialverfügung vom 15. Oktober zu entnehmen ist, dass der Antrag der Stadtschreiberin «im Einvernehmen mit dem Vorsteher des Hochbaudepartements» gestellt wurde. Es wäre von Interesse, genauer zu erfahren, was sich da hinter den Kulissen abgespielt hat…
Warten auf den Bezirksrat
Offen ist damit weiterhin der von den Rekurrenten beantragte und auch vom Stadtrat geforderte generelle Feststellungsentscheid zur staatspolitischen Frage, ob die Verwendung einer suggestiven Comic-Zeichnung in einer amtlichen Abstimmungszeitung rechtens ist:
«Es sei festzustellen, dass die Zeichnung/Visualisierung auf Seite 24 der Abstimmungszeitung und in der auf der städtischen Webseite aufgeschalteten Abstimmungsinformation das Gebot der sachlichen Behördeninformation gemäss § 64 des Gesetzes über die politischen Rechte und damit die in Art. 34 Abs. garantierte freie Willensbildung und unverfälschte Stimmabgabe verletzt.»
Wir warten gespannt auf die Antwort des Bezirksrats.
Gestaltungsplan Thurgauerstrasse: “Stadtrat hat weiche Knie bekommen” (NZZ) als PDF
Stadtratsbeschluss 2020/934: Ergänzende Abbildung
“Märlistunde bei André”: Stadt Zürich bessert nach (Tagesanzeiger online 29. Oktober 2020)
Medienmappe des Komitees “Rücksichtslos verdichten NEIN!” (10. November 2020)