Die Zahlen widerspiegeln die Alltagserfahrung der Zürcherinnen und Zürcher. Dass Wohnungssuchende das Recht, weiterhin in Zürich «wohnen zu dürfen», mit massiv höheren Transferleistungen an die Immobilienwirtschaft erkaufen müssen, und sich immer mehr Zürcher*innen dies nicht mehr leisten können, macht die Menschen zurecht wütend.
2011 hat die Linke versprochen, den Missstand mit einer substantiellen Erhöhung des Anteils der gemeinnützigen Wohnungen zu lindern. Eine einfache Hochrechnung zeigt, dass wir dieses Versprechen nicht halten können. Jährlich müsste die Zahl gemeinnütziger Wohnungen um 1000 wachsen, um bis 2050 das Drittelsziel zu erreichen[1]. In den letzten acht Jahren schafften wir es jährlich nur auf knapp 600.
Der Stadtrat war in den letzten acht Jahren nicht untätig. Er hat Landreserven für den Bau von kommunalen Wohnungen genutzt – und dabei auch Parzellen aktiviert, die bisher für den Wohnungsbau als ungeeignet galten. Er hat seine Planer*innen angewiesen, in die Höhe zu bauen, und dabei in Kauf genommen, dass die Baukosten die Limiten der Wohnbauförderung überschreiten. Er hat gemeinnützige Baurechte vergeben und Baugenossenschaften motiviert, ihre Verdichtungspläne voranzutreiben, was den Bestand preislich sehr günstiger Altbauwohnungen massiv reduzieren wird. Er hat Liegenschaften gekauft.
Vorwärts gemacht hat die Verwaltung auch mit dem neu ins Planungs- und Baugesetz aufgenommenen Instrument, bei planerischer Erhöhung der Ausnutzung einen Mindestanteil an preisgünstigen Wohnungen zu verlangen 2019 (Art. 49b). Im Frühling 2020 ist die Anpassung der Sonderbauvorschriften Neu-Oerlikon öffentlich aufgelegt worden – mit Vorgaben zum Bau von gemeinnützigen Wohnungen. Das Ergebnis ist ernüchternd. Im riesigen Gebiet hinter dem Bahnhof Oerlikon müssen ABB Immobilien, AXA Leben und Immobilienamt des Kantons nur 80 gemeinnützige Wohnungen erstellen. Diese Zahl erklärt die im Bericht des Stadtrats enthaltene Bemerkung, dass «der neue PBG-Artikel nicht zu einer markanten Zunahme an preisgünstigen Wohnungen führen» werde.
Diese lakonische Aussage kommt einer Kapitulation gleich. Man will auch in Zukunft den Grossgrundbesitzern nicht auf die Füsse treten. Im Rahmen des wohnpolitischen Dialogs führt die Wohndelegation des Stadtrats zwar Gespräche mit SwissLife, SBB, CS, UBS und anderen institutionellen Anlegern. Diese Gespräche haben aber keine Wirkung. Die Immobilienbranche darf auch in den nächsten zwanzig Jahren mit der Erhöhung der Bestandesmieten und der markanten Ausweitung des Immobilienbestandes in Zürich Reibach machen, ohne einen Beitrag zu einer auch sozial nachhaltigen Stadtentwicklung zu leisten.
Vor zehn Jahren hat die Stadt Zürich mit der Rückweisung der vom damaligen Stadtrat ausgehandelten Umnutzung des Manegg-Areals und der Annahme des wohnpolitischen Grundsatzartikels ein politisches Erdbeben erlebt. Es scheint, dass es noch einmal ein solches Erdbeben braucht.
Walter Angst, AL-Gemeinderat AL
Erschienen im P.S. vom 16.Oktober 2020
[1] 2019 gab es in der Stadt Zürich 55’100 gemeinnützige Wohnungen. Die mittlere Bevölkerungsprognose des Statistischen Amts geht für das Jahr 2040 von 515’000 Einwohner*innen aus (2019: 434’000). Bei einer parallel mit der Bevölkerung wachsenden Zahl an Wohnungen wird es 2050 in der Stadt Zürich über 250’000 Mietwohnungen geben. In den nächsten 30 Jahren müssen damit zu den bestehenden 55’1000 gemeinnützigen Wohnungen rund 30’000 Wohnungen dazukommen.
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