Die Zürcher Stadtbevölkerung liebt das Velo! Während die Nutzung anderer Verkehrsträger stagniert, passieren heute doppelt so viele Fahrräder die Zählstellen wie noch vor zehn Jahren. Aber warum macht man es uns so schwer, das sparsamste, gesündeste, rücksichtsvollste und oftmals sogar schnellste, wenn nicht gar eleganteste und dabei günstigste aller Verkehrsmittel im Alltag einzusetzen? Velo und Stadt passen zusammen wie Gomfi und Brötli. Warum müssen wir auf zwei Rädern um unser Leben fürchten, statt entspannt von A nach B zu pedalen?
Züri-Gott Auto
Dankbar und mit gewissem Stolz blicken wir auf Berichte, die Zürich als Stadt von sagenhafter Lebensqualität ausweisen. Und manchmal, auf dem Velosattel im Stadtverkehr, auch ungläubig. Zürich wurde vor dem Motor erfunden. Seit dem 2. Weltkrieg aber gab es in der Stadtentwicklung nur einen Gott, dem alles andere sich unterordnete: das Auto. Lediglich der öffentliche Verkehr konnte sich daneben behaupten. Er transportiert auf der gleichen Fläche bis zu zehnmal mehr Menschen. Ohne ihn würde die autogerechte Stadt kollabieren.
Seit den Siebzigerjahren drängt das zwischenzeitlich vergessen gegangene Velo zurück auf Zürichs Strassen. Vom Widerwillen der Verkehrsplaner*innen, den kostbaren Strassenraum mit dem Velo zu teilen und die Velomobilität in Zürich attraktiv und sicher zu gestalten, zeugen bis in die späten 2010er Jahre scheinbar planlos und jedenfalls unzusammenhängend aufgemalte Velostreifen und Piktogramme. Platz fürs Velo fand sich am schmalen Rand und dort, wo kein Auto jemals fahren wollte.
Man baute die Strassen für das Auto und bestimmt nicht fürs Velo. An der Utobrücke beim Sihlcity werden Velofahrende auf dem Weg nach Wiedikon erst in einen Abspannmast der VBZ und anschliessend in einen Baum geführt, bevor sie sich mitten auf einer gut frequentierten Bushaltestelle der Linie 72 wiederfinden. An derselben Stelle vergnügen Automobilist*innen sich auf vier Spuren.
Hat man bei VBZ und Grün Stadt Zürich schon über die Idee nachgedacht, Vergleichbares einmal auf einer Autostrasse zu versuchen? Velofahrer*innen könnten endlos von ähnlichen Situationen berichten. Passend dazu stellen nicht nur Post und Lieferdienste ihre Fahrzeuge wie selbstverständlich auf Fuss- und Velowege anstatt auf die Fahrbahn, auf die sie auch gehören.
Mobilität für alle dank neuer Strassenraumverteilung
Diese Konzeptlosigkeit der Raumaufteilung schadet nicht nur den Velofahrenden. Der Zwist mit Zufussgehenden und Benutzer*innen des öffentlichen Verkehrs schwelt seit längerem. Ebenso ist die Verkehrssituation der Velos auch für Automobilist*innen eine Quelle von Verunsicherung und Ärger.
Für die wachsende Stadt Zürich ist das kein Rezept mit Zukunft. Bis zu 100’000 werden wir in den nächsten Jahren willkommen heissen, und wir freuen uns auf sie. Die Stadt ist aus ökologischer, sozialer und ökonomischer Sicht die Siedlungsform der Zukunft, auf die wir setzen sollten. Eine Stadt für alle, in der die Bewohner*innen sicher, gesund und aktiv leben, arbeiten und einander begegnen.
Da Zürich sich im selben Zeitraum geometrisch kaum verändern wird, muss der zusätzlich benötigte Raum im bestehenden Siedlungsgebiet geschaffen werden. Für die Sicherstellung der Mobilität verlangt dies unter anderem eine viel effizientere Nutzung der Verkehrsflächen. Nichts schlägt in dieser Hinsicht das Zufussgehen. Für längere Wege ist der öffentliche Verkehr ideal. Alles dazwischen ist Velostadt. Eine zukunftsgerichtete Planung setzt alles daran, dass diese entstehen kann.
Lärmbekämpfung ohne Verdrängung
Das Ergebnis wird eine höhere Lebensqualität für die Stadtbevölkerung sein. Der ohnehin begehrte Wohnraum in der Stadt wird weiter an Attraktivität gewinnen. Im renditeorientierten Wohnungsmarkt bedeutet dies Aufwärtsdruck auf die Wohnkosten. Es ist eine Kernaufgabe linker Politik, diesen Druck abzulassen und die Vertreibung normal verdienender und ärmerer Schichten aus der Stadt mit allen verfügbaren Mitteln zu bekämpfen.
Die Stadt unsicher, laut und lebensfeindlich zu halten, um dadurch ihre Anziehungskraft künstlich zu begrenzen, darf in diesem Verdrängungskampf keines dieser Mittel sein. Wir dürfen nicht den Lärm und Gestank heutiger Hauptverkehrsachsen als Voraussetzung annehmen für den Erhalt günstiger Wohnungen. Der Lärm von Autostrassen ist keine minor inconvenience, sondern er erhöht Stress, verursacht Krankheit, schränkt die Leistungsfähigkeit ein und führt zu frühzeitigem Tod. Die Stadt muss ein menschenfreundlicher Lebensraum für alle sein.
Im Velo sehen wir einen Schlüssel zu diesem Wunschbild. «Radverkehr hält Städte zusammen, schützt die lokale Wirtschaft und schafft lokale Arbeitsplätze. Radfahren ist gesund, ökologisch verträglich, sozial verträglich und ökonomisch verträglich […] Radfahrern wird bewusst, wie furchtbar die Welt durch das Auto wird. Und sie beginnen, ihren Lebensraum, den Lebensraum ihrer Kinder und auch die Natur zu verteidigen. Autofahrer fahren einfach weg und suchen sich einen Platz, von dem sie glauben, dort wäre es schöner. Der Autofahrer ist absolut asozial. Er merkt es nur nicht.» Hermann Knoflacher, ehemaliger Stadtplaner in Wien und mitverantwortlich für Wiens autofreie Innenstadt, bringt das auf den Punkt und zeichnet einen scharfen Kontrast zum Auto.
Typisches Bild in Zürich: Veloweg endet im Nirgendwo
Mehr Freiheit für die Mehrheit
Den eigenen Alltag mit dem Velo zu bestreiten, wird damit auch zu einem Akt respektvollen nachbarschaftlichen Miteinanders, den wir allen möglichst leicht machen sollten. Das Auto einzuschränken, ist in dieser Betrachtungsweise kein Angriff auf die individuelle Freiheit, sondern ein Schritt, sie für eine Mehrheit wiederherzustellen. Der öffentliche Raum dient dem Aufenthalt, der Begegnung und der Mobilität. Das Auto hat ihn uns gestohlen, wir wollen ihn zurück.
Dafür genügt es nicht, vereinzelte Velostreifen zu markieren, wo das Auto dies gestattet. Diese nun lange verfolgte Taktik führte zu dem heutigen Flickenteppich unvollständiger Verbindungen, die konsequent genau dort unterbrochen wurden, wo der Schutz der Velofahrenden am notwendigsten wäre. Kinder, Ungeübte und Betagte auf Velos sind ein seltener Anblick in Zürich. Gelten sollte: «Gestalte die Strassen so, wie wenn dein Grosi Velo fahren würde!»
Bevölkerung will mehr Velo
Was wir benötigen, sind durchgehende Routen und genügend Raum für die sichere und komfortable Fortbewegung mit den für die Stadt am besten geeigneten Verkehrsmitteln – für den öffentlichen Verkehr, das Zufussgehen und das Velo. Dieser Raum kann nur in einer Neuaufteilung der Verkehrsflächen gefunden werden. Diese wird zulasten des Autos gehen, das gegenwärtig weit überproportional bedient ist.
Zürich wird schöner, wenn mehr Menschen Velo fahren. Erste Schritte sind getan. Der Auftrag für mehr Velo wurde in mehreren Volksentscheiden und zahllosen Ratsbeschlüssen bestärkt. Mit der Velorouteninitiative steht ein Richtungsentscheid bevor, der den Durchbruch bringen muss. Wir werden uns nie zurücksehnen!
Olivia Romanelli, AL-Gemeinderätin
Aus AL-Info 3/20