Doppelter Etikettenschwindel
Die «Begrenzungsinitiative» ist eine Art Durchsetzungsinitiative zur 2014 äusserst knapp angenommenen Einwanderungs-Initiative. Und eine Mogelpackung. Mit dem Versprechen der «Begrenzung» will uns die SVP gleich einen doppelten Etikettenschwindel verkaufen.
Erstens geht es nicht um eine allgemeine Begrenzung der Zuwanderung, sondern ganz konkret um die Kündigung des bilateralen Freizügigkeitsabkommens mit der EU von 1999 (FZA): Innert zwölf Monaten nach Annahme der Initiative soll auf dem Verhandlungsweg eine Ausserkraftsetzung des FZA erreicht werden, ansonsten muss der Bundesrat dieses einseitig kündigen. Über die Guillotine-Klausel fallen damit auch die übrigen Abkommen der Bilateralen I von 1999 dahin, etwa in wichtigen Bereichen wie Forschung und Bildung.
Blocher: Arbeitsmigration nach dem Gusto der Wirtschaft
Zweitens legt die Initiative gar keine konkrete Begrenzung fest. Sie fordert lediglich: «Die Schweiz regelt die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern eigenständig.» Wie das zu verstehen ist, hat Christoph Blocher in der NZZ am Sonntag (23. Februar 2020) erläutert. Auf die Frage, auf welchem Niveau er die Zuwanderung limitieren wolle, erklärte er: «Das kann man nicht generell festlegen. Die Zuwanderung soll sich jährlich nach den Bedürfnissen der Wirtschaft richten. Deshalb braucht es variable Kontingente.»
Hart erkämpfte Schutzmassnahmen …
Die Bilateralen haben für die Arbeitnehmenden spürbare Verbesserungen gebracht. Das unmenschliche Saisonnierstatut ist gefallen, der Familiennachzug gewährleistet. Dank den Flankierenden Massnahmen werden Löhne und Arbeitsbedingungen systematisch kontrolliert. Dumpingfirmen werden gebüsst und müssen geschuldete Löhne nachzahlen. In Branchen mit Lohndruck können Bund und Kantone Mindestlöhne einführen. Allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge verbessern den Schutz zusätzlich.
… sollen liquidiert werden
Das Blocher-Programm will diese hart erkämpften Regulierungen des Arbeitsmarktes über Bord kippen. Statt Gesamtarbeitsverträgen und Lohnkontrollen soll wieder eine gnadenlose Konkurrenz aller gegen alle Einzug halten. Das Motto heisst: Arbeitskräfte – mit und ohne Pass – ja, Menschen mit sozialen Rechten nein! Die SVP hat sich im Parlament denn auch stets gegen wirksame flankierende Massnahmen gestemmt: gegen ein Entsendegesetz, gegen griffige Kontrollen, gegen den vereinfachten Erlass von Normalarbeitsverträgen.
Das Doppelspiel der SVP
Bei der Beratung der flankierenden Massnahmen im Dezember 2004 hat Jo Lang das Doppelspiel der SVP treffend charakterisiert:
«Einerseits warnt die SVP vor Lohndruck und bekämpft die Personenfreizügigkeit, indem sie die Angst vor Lohndumping schürt. Anderseits aber lehnt die SVP alle Massnahmen ab, die den Leuten mehr sozialen Schutz, unter anderem vor Lohndumping, bieten. Wer meint, die SVP befinde sich damit mit sich selber im Widerspruch, wird der SVP-Logik nicht gerecht. Die kleinen Leute, insbesondere die Tieflohnbezügerinnen und -bezüger, lassen sich leichter in die nationalistische Falle locken, wenn ihre soziale und berufliche Situation prekär ist. Andersherum gilt: Je stärker das soziale Angebot ist, desto geringer ist die Nachfrage nach dem nationalistischen Angebot der Abschottung.»
Kein Rahmenabkommen ohne Schutz der Arbeitnehmer*innen
Mit einem klaren Nein am 27. September ist es nicht getan. Gleich danach wird die Diskussion über das mit der EU bereits ausgehandelte Institutionelle Rahmenabkommen (InstA) neu aufflammen. Hier gilt es erneut, mit aller Kraft die flankierenden Schutzmassnahmen für Arbeitsnehmer*innen zu verteidigen. Dabei geht es beileibe nicht nur – wie uns Wirtschaftsliberale und Öffnungs-Euphoriker*innen von glp und Operation Libero weismachen wollen – um ein kleinliches Feilschen um Voranmeldefristen bei der Entsendung von Arbeitnehmer*innen. Solange es die EU nicht schafft, soziale Leitplanken für den Binnenmarkt zu formulieren und auch durchzusetzen, geht es für die Linke zentral darum, ob die Schweiz die Durchsetzung des Grundsatzes «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort» und die dafür nötigen Kontrollmassnahmen weiterhin eigenständig formulieren und bestimmen kann.
Niklaus Scherr
Aus AL-Info 1/20