Geschätzte Anwesende
Zur Kantonsratssitzung vom 2. März hat das Kollektiv «Klimastreik Zürich» vor dem Rathaus auf sich und seine Anliegen aufmerksam gemacht. Das Schreiben mit dem Titel «Handeln statt Hoffen» wurde im Rathaus verlesen und kurze Zeit später haben wir es noch in schriftlicher Form erhalten. Viele von Ihnen waren empört von der Tonalität des Schreibens und der Drohung «zu friedlichen aber drastischen Methoden zu greifen», sollten die Forderungen des Klimastreikes nicht erfüllt werden. Die Empörung war gross.
Geschätzte Anwesende, vielleicht erinnern Sie sich:
Bereits 2013 wurde festgelegt, dass die Erderwärmung nicht mehr als 2° Celsius betragen darf, um die Bewohnbarkeit der Welt, wie wir sie heute kennen, zu gewährleisten. Gemäss dem Sonderbericht des Weltklimarates (IPCC) von 2018, reicht dies allerdings nicht mehr aus. Das neue Ziel liegt bei 1.5° Celsius. Um dies zu erreichen, muss die Schweiz bis ins Jahr 2050 klimaneutral sein. Der Co2-Fussabdruck pro Kopf liegt in der Schweiz allerdings bei etwa 14 Tonnen pro Jahr. Von 14 auf Null in 30 Jahren. Das ist eine kolossale Aufgabe.
Angesichts des bisher angeschlagenen Tempos, verstehe ich die Rage und die Verzweiflung des Kollektivs «Klimastreik».
Es geht um nicht weniger als um die Abwendung einer globalen Katastrophe. Um das heutige und künftige gute Leben auf der Erde. Die Alternative Liste ist dem Klimastreik Zürich und der Bewegung der Klimajugend darum sehr verbunden, dass sie das Thema auf die Agenda gebracht haben, dass sie nicht lockerlassen und nachhaltig darauf aufmerksam machen, dass wir einen grundlegenden Wandel brauchen.
Dieser grundlegende Wandel aber, dieser wird uns nicht geschenkt werden. Wir müssen ihn ermöglichen. Über Parteigrenzen hinweg müssen wir uns zusammenraufen und gemeinsam auch unangenehme und bei gewissen Wählerinnen*-Gruppen unpopuläre Entscheidungen treffen. Denn wir erlassen die Regeln, wir stehen in der Verantwortung.
Es braucht mehr als die «In-der-Schweiz-ist-alles-gut»-Haltung der SVP oder die Innovations-Träumereien der Bürgerlichen. Ja, die Schweizer Wirtschaft bemüht sich und ohne Innovationen wird es nicht gehen. Aber, und so ehrlich müssen wir sein, es wird eben auch nicht ohne Einschränkungen und Verzicht gehen – insbesondere für die Vielverbraucher*innen und die Verschwender*innen. Unbeschränkte Mobilität und unbeschränkter Konsum sind mit den Klimazielen nicht vereinbar.
Es ist in unserer Aufgabe, geschätzte Anwesende, im Rahmen unserer Möglichkeiten, Voraussetzungen zu schaffen und Regeln zu erlassen, die einen Umweltschutz ermöglichen, der umfassend und vor allem solidarisch ist. Das, geschätzte Anwesende, ist eine der grössten Herausforderungen in diesem bürgerlich geprägten Umfeld. Aber ein Umweltschutz nur für die, die es sich leisten können, ist keine Option. Die Alternative Liste wird dies nicht unterstützen.
In den Augen der Alternativen Liste hat eine glaubwürdige Umweltpolitik das gute Leben für alle zum Ziel. Sie orientiert sich an den Prinzipien der Nachhaltigkeit und der nachhaltigen Entwicklung. Die drei Bereiche Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft sind untrennbar miteinander verwoben. Sinnvollerweise (so auch auf der Website des Kantons Zürich), wird auch die notwendige Solidarität in Raum und Zeit mitberücksichtigt. Über diese Solidarität werde ich nun sprechen, denn Solidarität, geschätzte Anwesende, Solidarität ist für die Alternative Liste das zentrale Element: Solidarität mit den Mitmenschen hier, mit den Mitmenschen anderswo und mit den Mitmenschen der Zukunft. Diese Solidarität muss sich durch die gesamte Politik ziehen, wenn wir ernsthafte Umwelt- und Klimapolitik machen wollen.
Die Solidarität mit den Mitmenschen hier ist unerlässlich, um alle an Bord zu haben für die massiven Veränderungen, die es braucht. Wozu eine geplante Benzinsteuer, eine CO2-Abgabe, führen kann, wenn die Leute in bescheidenen Verhältnissen leben, haben wir in Frankreich gesehen. Solche Verhältnisse, geschätzte Anwesende, gibt es auch in der Schweiz. Die langen Schlangen vor Essensausgabestellen haben das vor Kurzem eindrücklich aufgezeigt. Die Lösung liegt nun aber ganz sicher nicht darin, einfach alle CO2-Abgaben abzulehnen. Nein. Wir müssen diese als Lenkungsabgaben so gestalten, dass von den Vielverbraucher*innen und Verschwender*innen zu allen anderen umverteilt wird. Zusätzlich müssen wir aber auch eine solidarische Politik für die unteren Einkommen machen. Denn nur wer mitgetragen ist, ist auch offen für Veränderungen.
Die bürgerliche Steuerpolitik dieses Landes verteilt nachweislich von unten nach oben um und vermehrt die Vermögen der Wenigen an der Spitze. Eine solche Steuerpolitik steht in direktem Konflikt zu einer in der gesellschaftlichen Breite tragfähigen und glaubwürdigen Umwelt- und Klimapolitik.
Die Steuerpolitik ist nur ein Beispiel unter vielen. Auch ein starker Service Public, eine Wohnbaupolitik für tiefere Mieten oder eine AHV-Rente über dem Existenzminimum kommen insbesondere den Schwächsten zu Gute. All dies wird nötig sein, damit eben zum Beispiel CO2-Abgaben mitgetragen werden oder damit sich alle nachhaltig produzierte Schweizer Lebensmittel leisten können.
Die Steuerpolitik bringt mich zum nächsten Punkt: der Solidarität mit den Mitmenschen anderswo. Seit Jahren entzieht die Schweiz mit ihrer Tiefsteuerpolitik anderen Ländern Milliarden an Steuersubstrat. Dieses Geld fehlt dann zum Beispiel für den ökologischen Umbau eben dieser Gesellschaften. Von unserem 14 Tonnen CO2-Fussabdruck wird mehr als die Hälfte im Ausland verursacht. Wenn wir also auf Null kommen wollen, dann sind wir für den ökologischen Umbau im Ausland mitverantwortlich. Ich sage es darum noch einmal: Die bürgerliche Steuerpolitik dieses Landes steht in direktem Konflikt zu einer glaubwürdigen Umwelt- und Klimapolitik.
Damit nächsten Punkt: der Solidarität mit den Mitmenschen der Zukunft. Wenn Sie einen SUV fahren, jeden Tag Fleisch essen oder jährlich in die Ferien fliegen, gefährden sie das gute zukünftige Leben Ihrer Kinder, Ihrer Nichten, Ihrer Enkel, und all deren Kinder. Das sollte uns allen Anreiz genug sein, eine Politik zu machen, welche solchen Unsinn unmöglich macht.
Wenn Ihnen das, liebe Bürgerliche, welche den Begriff der «Freiheit» so gerne mögen und sich als «liberal» bezeichnen, zu extrem klingt, dann erinnere ich Sie gerne an die Theorien zwei liberaler Philosophen:
John Rawls’ «Schleier des Nichtwissens» unter welchem Menschen über die zukünftige Gesellschaftsordnung entscheiden, ohne selbst zu wissen, an welcher Stelle dieser Ordnung sie sich später befinden werden, ist nichts anderes als Solidarität mit den Mitmenschen hier, anderswo, und in der Zukunft. Und Immanuel Kant’s Prinzip, dass die Freiheit des einen dort aufhört, wo die des anderen beginnt, verpflichtet uns zu Einschränkungen und Verzicht.
Für die Alternative Liste ist es sehr klar. Angesichts der kolossalen Aufgabe, die wir vor uns haben, werden grosse Veränderungen unumgänglich sein. Damit diese von allen mitgetragen werden und für alle tragbar sind, braucht es ein konsequent solidarisches Denken über verschiedene Politikfelder hinweg.
Es braucht Solidarität mit den Mitmenschen hier, mit den Mitmenschen anderswo und mit den Mitmenschen der Zukunft.
Angesichts dieser Notwendigkeiten und der aktuellen Politik, komme ich zum gleichen Schluss wie die Klima-Aktivist*innen: Wir brauchen System Change und nicht Climate Change.
29. Juni 2020
Melanie Berner