Letzte Woche wurden hier im Gemeinderat die Black Lives Matter Demonstrationen in Zürich von den Bürgerlichen kritisiert und Rassismus als ein Problem inszeniert, das bei uns in dieser Form nicht existiert. Anstatt direkt darauf zu reagieren, werde ich ein Statement verlesen, das von Schwarzen Aktivist*innen verfasst wurde – denn Schwarze Menschen und Menschen of Color sind auch hier im Gemeinderat untervertreten.
An den verschiedenen Demonstrationen und Mahnwachen der letzten zwei Wochen wurden immer wieder Namen genannt, die durch institutionelle rassistische Gewalt in der Schweiz gestorben sind. So zum Beispiel: Mike Ben Peter, Lamine Fatty, Hervé Mandundu, Subramaniam H.
Viele mehr sind durch institutionelle rassistische Gewalt – auch in der Schweiz – frühzeitig gestorben. Viele ihrer Namen kennen wir nicht. Gerade auch diejenigen von Frauen, queeren, Transmenschen und nicht geschlechtskonformistischen Personen und Sexarbeitenden. Je grösser die Marginalisierung, desto grösser die Unsichtbarkeit.
Immer wieder gibt es auch in der Schweiz Todesfälle in Polizeigewahrsam. Aber sie sind nur die Spitze des Eisbergs. Wie im kürzlich erschienen Buch[1] zu Racial Profiling in der Schweiz steht, sind es nicht einzelne böse Polizistinnen und Polizisten, die dazu führen, sondern Bilder von Ungleichheit, die inmitten der Gesellschaft als Normalität zirkulieren. Rassistische Polizeikontrollen führen uns vor Augen, was wir nicht sehen wollen: Die Polizei als Schutz zu empfinden, ist innerhalb unserer rassistischen Strukturen ein weisses Privileg.
An einer Demonstration sagte eine Schwarze Aktivistin: «Rassismus ist kein amerikanisches Problem, weit weg von uns. Rassismus ist nicht nur Mord durch die Polizei auf offener Strasse. Rassismus ist auch die unzähligen Mikroaggressionen, die wir Betroffenen Tag für Tag erleben. Hände in unseren Haaren, hasserfüllte Blicke. Beleidigungen. Albtraummässige Wohnungs- und Arbeitssuchen. Das ständige Sich-Erklären und Sich-Legitimieren müssen, dass wir tatsächlich auch von hier und auch echte Schweizer*innen sind».
Viele Schwarze und andere Menschen of Colour, die hier leben, sind Schweizer*innen. Einige leben hier in der 2., 3., 4. Generation ohne roten Pass. Einige sind geflüchtet. Einige sind illegalisiert. Aber nicht aller Rassismus, der die Schweiz betrifft, findet auf Schweizer Territorium statt. Sondern auch an ihren Grenzen, auf Fluchtwegen, im Mittelmeer. In Camps an den europäischen Grenzen, wie die Revoltierenden in Moira uns das während der Coronakrise zeigten. Marginalisierung, Diskriminierung und Entmenschlichung ist Teil des Alltags von Schwarzen und anderen Menschen of Colour in der Schweiz. Was uns unterscheidet, ist nicht der Rassismus, sondern der Alltag, den wir führen, aufgrund unserer unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen.
Die Schweiz war am Kolonialismus, der Ausbeutung von Arbeitskräften, der Versklavung von Menschen, und an den daraus entstandenen Profiten ebenso beteiligt, wie an der Produktion von rassistischem Wissen. Wissen, das Weisse ins Zentrum der Menschheit setzte, Schwarze an deren Rändern und andere nichtweisse Menschen irgendwo dazwischen.
Wieso sollten diese Vorstellungen verschwunden sein, wenn Rassismus hier nicht anerkannt wird? Nur wenn eine Auseinandersetzung stattfindet, kann sich etwas verändern.
Uns interessiert nicht, wer sich im Gemeinderat als Rassist*in versteht oder nicht, sondern welche dezidierten antirassistischen Handlungen Sie ansetzen oder unterlassen. Nutzen Sie Ihre Privilegien, um die notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen durchzusetzen. Schwarze Leben sind wertvoll. Schwarze Leben zählen. Black Lives Matter.
Schwarzfeministisches Kollektiv
[1] Wa Baile, Mohaed (et. al.): Racial Profiling. Struktureller Rassismus und antirassistischer Widerstand, Bielefeld 2019.