Das Gespräch mit Nadine Deringer, Pflegefachfrau Zürcher Lighthouse, und Carolina Iglesias, freiberufliche Hebamme / Beleghebamme am Stadtspital Triemli hat aufgezeigt, mit welchen Emotionen Gesundheitsfachpersonen in den vergangenen drei Monaten an «vorderster Front» konfrontiert waren: Ungewissheit über den Verlauf der Pandemie und die Auswirkungen auf die eigene Arbeit, belastende Gefühle im Wissen um auf sich gestellte Familien mit Neugeborenem zu Hause, um schwerkranke und sterbende Menschen ohne die unterstützende physische Nähe von Angehörigen. Auch Wut und Ohnmacht wegen nicht vorhandenem Schutzmaterial und Angst um die eigene Gesundheit gehören dazu.
Die Arbeit in Gesundheitsberufen ist eine Arbeit am Menschen und nicht an einem Fliessbandstück. Wirtschaftliche Qualitätsnormen lassen sich nicht 1:1 auf die Arbeit von Pflegefachpersonen und Hebammen übertragen! Die Corona-Krise hat Schwachstellen aufgedeckt, die kein Novum sind… Der ungesunde Spardruck und die Forderungen nach «Lean Management» lasten auf Schultern, die für unsere Gesellschaft unersetzlich sind.
Nadine Deringer in improvisierter Schutzkleidung
Pflegekräfte sehen sich vielerorts mit immer flexibleren Arbeitszeiten (Dienst auf Abruf) konfrontiert und sind tagtäglich der Tatsache ausgesetzt, den Patienten*innen oft nicht gerecht zu werden. Das wirkt sich längerfristig auf die eigene psychische Gesundheit aus. Kein Wunder verstärkt die Sistierung von Gesundheitsschutzbestimmungen, wie in der Corona-Krise erlebt, Ohnmachtsgefühle, Erschöpfungserscheinungen und Zermürbung. Pflegende und Hebammen brauchen Investitionen in Aus- und Weiterbildung sowie in sozialverträgliche Arbeitsbedingungen und Löhne, die auch die Gender-Thematik berücksichtigen.
Abschliessend sind wir uns einig: Hebammen und Pflegefachpersonen brauchen zwingend und sofort mehr Mitspracherecht. Sie sind Profis und ihre Versorgungsarbeit fördert erwiesenermassen das Gesundheitsoutcome von Patienten*innen und betreuten Familien! Die Geduld ist zu Ende, ein Status als Hilfskräfte ist nicht weiter zu tolerieren!
Nadine Deringer (oben links), Tanja Maag (oben rechts), Carolina Iglesias (Mitte links) sowie Mitglieder des Digit-AL-Teams und der AL-Gesundheitsgruppe.
Zur Coronakrise hat die AL-Gesundheitsgruppe einen ersten Forderungskatalog erstellt:
- Schonungslose Aufarbeitung der Vorgänge während der Krise auf kantonaler und kommunaler Ebene und Ziehen der entsprechenden Konsequenzen. Dies betrifft insbesondere die Koordination von Abläufen, Personal und Institutionen, eine gründliche Evaluierung bezüglich des Personals (Kompetenzen, Ausbildung, Erfassung Erkrankungen, Personalmangel etc.), die Rolle der Kantonsapotheke, der öffentlichen und privaten Spitäler sowie Pflegezentren, die verschiedenen Finanzierungssysteme (Fallpauschalen DRG etc.) und Vorbereitungsmassnahmen für alle Gesundheitsinstitutionen.
- Steigerung der Attraktivität der Gesundheitsberufe durch strukturelle Verbesserungen im Bereich von Besoldung, Arbeitnehmerinnenschutz und Arbeitsbedingungen. Anstelle des unsinnigen Wettrüstens bei Infrastruktur und Hotellerie muss in die Aus- und Weiterbildung des Gesundheitspersonals sowie in Arbeitsbedingungen und Löhne investiert werden.
- Die Entwicklung und Planung im Gesundheitswesen muss von denjenigen mitgestaltet werden, die sich in der Pflege und Betreuung kranker und betagter Menschen auskennen. Auch die Institutionen selbst müssen zwingend stärker eingebunden werden.
- Erzielte Gewinne dürfen nicht mehr ausgeschüttet werden, sondern müssen wieder in die Gesundheitsinstitutionen investiert werden. Es soll der tatsächliche und nicht ein pauschaler Pflege- und Begleitungsaufwand finanziert werden. Der Kanton ist für die ausreichende Finanzierung aller Gesundheitsinstitutionen verantwortlich.
- Stärkung des Service public im Bereich des Gesundheitswesens und Verzicht auf die Auslagerung/Privatisierung systemrelevanter Institutionen wie Stadtspitäler, Alters- und Pflegeheime sowie Kantonsapotheke.
- Ergänzung der Versorgungskette für marginalisierte Gruppen (Obdachlose, Flüchtlinge, Sans Papiers), die ohne Zugang zu einer medizinischen Versorgung auch zur Pandemie-Ausbreitung beitragen können.
Die Aufzeichnung der ganzen Veranstaltung kann hier auf unserem youtube-Kanal angesehen werden.