So wird Zürich nicht mehr wachsen
Das haben sich Renato Piffaretti und Giorgio Engeli anders vorgestellt. Der Chef der Immobilienabteilung von Swiss Life und sein Chefbewirtschafter müssen sich in diesen Tagen mit den Ehepaaren Steindorfer und Steger an einen Tisch setzen. Es sind einfache Mieter von Swiss-Life-Wohnungen an der Riedthofstrasse in Regensdorf, und das seit 60 Jahren. Die vier – alle weit über 80 Jahre alt – haben Ende Juni die Kündigung erhalten – zusammen mit rund 80 weiteren Mietparteien. Viele von ihnen waren Ende der 1950er-Jahre Erstbezüger der Siedlung hinter dem Bahnhof Regensdorf-Watt. Im Herbst 2019 soll sie abgerissen werden.
Die beiden smarten Immobilienmanager von Swiss Life behaupten vollmundig, dass sie bei der Planung ihrer Projekte an die übernächste Generation denken. Seit der Kassensturz über das Schicksal der Mieterinnen und Mieter von der Riedhofstrasse berichtet hat, weiss nun aber die halbe Schweiz, dass die weit in die Zukunft blickenden Herren die lebendenden Generationen aus den Augen verloren haben. Und das tut weh.
Die Swiss-Life-Boys haben der Gemeinde Regensdorf das Blaue vom Himmel versprochen, als sie im Sommer 2017 um den Arealbonus verhandelten. Dank diesem Bonus können sie den Wert ihres an guter Pendlerlage liegenden Grundstücks in Regensdorf um sage und schreibe 50 Prozent erhöhen. Man wolle die Siedlung in Etappen realisieren und den Mietern viel Zeit lassen, eine neue Bleibe zu finden, sagten sie der Gemeinde. Ein Jahr später war alles anders. Die Kündigung erfolgte auf Juni 2019, eine Erstreckung des Mietverhältnisses von mehr als drei Monaten will man nicht anbieten. Wie die Geschichte weitergeht, wird das Mietgericht entscheiden.
Ans Licht gekommen ist das alles, weil in Regensdorf Menschen das Wort ergreifen, die normalerweise in den Planerdebatten keine Rolle spielen. Frau Steindorfer sagt, dass sie sich nach der Kündigung wie ein Paar ältere Schuhe vorgekommen sei, die man in die Ecke stellt. Sie sagt, was viele Menschen denken, wenn sie Investoren und Behördenvertreter über das grosse Wachstum des Metropolitanraums Zürich reden hören – zum Beispiel Zürcher Stadträtinnen und Stadträte, die Menschen in „Verdichtungsgebieten“ (was für ein Unwort) die Segnungen des kommunalen Richtplans näherbringen wollen.
Was die Swiss Life in Regensdorf machen will, machen Mobimo, Pensimo und Halter auch in Zürich: Mit dem Arealbonus sagenhafte Aufwertungsgewinne realisieren, indem sie ihre 60 Jahre alten Siedlungen abreissen. Den Arealbonus kriegt, wer von energetischen Sanierungen schwärmt, mit dem Amt für Städtebau kuschelt und Bauten realisiert, die dem Baukollegium der Stadt Zürich gefallen. Soziale Vorgaben wie den Bau eines Mindestanteils von preisgünstigen Wohnungen werden nicht eingefordert.
Solange das so ist, wirkt der Arealbonus wie ein Brandbeschleuniger der Vertreibung. Solange sich daran in der Stadt Zürich nichts ändert, müssen wir über den mit massiven Aufzonungen verbundenen kommunalen Richtplan des Stadtrats gar nicht diskutieren.
2014 hat die Bevölkerung im Kanton Zürich dafür gestimmt, dass Gemeinden den Bau von preisgünstigen Wohnungen verlangen können, wenn Grundeigentümer in den Genuss einer Mehrausnützung kommen. Das muss der Stadtrat jetzt umsetzen – wenn nötig mit einer Anpassung der bestehenden Bau- und Zonenordnung. Wenn das geschehen ist, können wir anfangen, über den Richtplan zu reden.
Walter Angst, Gemeinderat und Regierungsratskandidat der AL