Letzte Woche habe ich vor dem Friedensrichter Mitarbeitende des Spitals in Bülach vertreten, die den Lohn für ihre Umkleidezeit einforderten. Der Gegenanwalt meinte lapidar: Wenn die Umkleidezeit entgolten werden müsse, müsse an einer anderen Leistung für die Arbeitnehmenden gespart werden. Das Ganze sei ein Gesamtpaket. Und mehr als das bestehende Paket könne sich das Spital nicht leisten. Diese Haltung verstösst gegen das Arbeitsgesetz. Aber in ihr kommt auch ein sehr statisches Verständnis von Politik und Gesellschaft zum Ausdruck. Denn der Kuchen für die Arbeitnehmenden hat nicht einfach eine bestimmte, nicht veränderbare Grösse und auch der Inhalt des Kuchens muss nicht immer gleich sein. Soziale Errungenschaften sind den Arbeitnehmenden noch nie in den Schoss gefallen. Gute Löhne, Renten und Arbeitsbedingungen sind immer der Ausdruck des Kräfteverhältnisses zwischen Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden. Wer stärker auftritt, bekommt mehr.
Das gilt auch für das Parlament. Das Parlament ist nicht das Machtzentrum der Schweiz, aber es ist ein Machtzentrum, wo in den nächsten vier Jahren über Klimapolitik, Gleichstellung oder Renten entschieden wird. Deshalb kann es uns nicht egal sein, wer für die nächsten vier Jahre in Bern sitzt.
Keine Klimapolitik ohne sozialen Ausgleich
Das Klima ist zu Recht das Thema der Wahlen. Das Ende der fossilen Brennstoffe muss kommen. Aber alle Klimamassnahmen sind auch auf die sozialen Auswirkungen zu prüfen. Eine Klimapolitik, die sich nur der obere Mittelstand leisten kann, ist zum Scheitern verurteilt und wird zum Aufstand der Wenigverdienenden und des Landes gegen die Städte führen. Gewerkschaften können hier eine wichtige Rolle spielen. Sie vertreten prekarisierte und sehr aufgeklärte Schichten. Diese sind miteinander zu verknüpfen. Deshalb müssen alle ökologischen Massnahmen auch auf ihre soziale Verträglichkeit geprüft werden.
Gleichstellung: ein gewerkschaftliches Anliegen
Der Frauenstreik war – auch wegen des enormen gewerkschaftlichen Beitrags – ein Grosserfolg. Diesen Schwung gilt es nutzen. Wirksame Lohnkontrollen sind ein erster Schritt. Aktive Förderungsmassnahmen wie Quoten in Politik und in der Wirtschaft dürfen kein Tabu mehr sein. Wenn die ausserschulische Betreuung von Kindern vor allem auf dem Land immer noch brach liegt, oder unerschwinglich teuer ist, wird die Vereinbarkeit von Beruf und Arbeit für die Frauen nur sehr bedingt möglich sein. Auch hier muss Abhilfe geschaffen werden.
Kampf um sichere Renten
Eine andere grosse Herausforderung werden die Renten sein. Die AHV-Renten wurden seit Jahrzehnten nicht erhöht. Die Pensionskassenrenten sinken und sinken. Wer jedes Jahr in die Pensionskasse einzahlt und trotzdem jedes Jahr eine tiefere Rente auf seinem PK-Ausweis sieht, kommt sich betrogen vor. Arbeit muss sich lohnen und soll nicht mit sinkenden Renten bestraft werden. Für die Gewerkschaften ist es zentral, dass die kollektiven Versicherungen in der ersten und zweiten Säule ein anständiges Leben im Alter garantieren. Eine Verlagerung in die private Vorsorge führt zu einer Entsolidarisierung der Gesellschaft und in ein grösseres Auseinandertriften von Arm und Reich.
Deshalb ist es wichtig, am 20. Oktober 2019 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter nach Bern zu wählen. Die im Kanton Zürich kandidierenden Gewerkschaftsmitglieder findet ihr unter www.gbkz.ch.
Markus Bischoff, Präsident Gewerkschaftsbund Kanton Zürich
Aus: P.S. vom 4. Oktober 2019