Nach wie vor geht es der Zürcher Kulturförderung, so insinuiert es auch das aktuelle Kulturleitbild, um das Bestreben, der Stadt eine grosse nationale und internationale Strahlkraft als eigentliche Kulturhauptstadt der Schweiz zu verleihen. Diese Strahlkraft kann in den Augen der städtischen Kulturverantwortlichen offensichtlich nur dank Leuchtturmprojekten erreicht werden.
Mit diesem starken Ausrichten auf das kulturelle Image des Wirtschaftsstandorts Zürich erschwert die Stadt in unseren Augen die kulturelle Teilhabe aller Bewohner*innen von Zürich, die gemäss aktuellem Kulturleitbild ebenfalls als prioritäres Ziel formuliert wird.
Lassen Sie uns an dieser Stelle ein Beispiel machen: Das Zürich Game Festival erhält 2019 eine weitere Sockelfinanzierung, obwohl die erste klar als Anschubfinanzierung deklariert und in abnehmenden Finanzierungstranchen auf drei Jahre limitiert war. Handkehrum bemüht sich das schwul-lesbische Filmfestival Pinkapple seit mehr als 20 Jahren erfolglos um eine finanzielle Unterstützung durch die Stadt. Es geht uns hier beileibe nicht um ein Ausspielen beider Festivals, aber wir wollen doch erwähnen, wie eine nicht-öffentliche Nischenmesse mit potentiell grossem internationalem Renommée – wie sie das Zürich Game Festival darstellt – gegenüber anderen Festivals, die seit langem mit Finanzierungsschwierigkeiten kämpfen und nur mit enorm viel unbezahlter Eigenleistung funktionieren, bevorzugt wird. Und dies, obwohl alle zu gleichen Teilen zur Vielfalt des kulturellen Lebens beitragen.
Eine kulturell vielfältige Stadt ist eine lebendige Stadt und umgekehrt. Vielfalt entsteht nicht durch die Einordnung von Sub- oder Parallelkulturen in bestehende Kulturangebote, sondern durch die Bereitstellung von Möglichkeiten für aktives Gestalten und das Entstehen von Neuem. Kultur findet dann statt, wenn Strukturen überdacht werden können, Verkrustetes zerschlagen wird, aus den Trümmern des Traditionellen Neues entstehen kann, das eben gerade nicht top-down verordnet wurde. Das wäre, nebenbei gesagt, wohl auch mehr im Sinne der von Zürich verehrten Dadaistinnen und Dadaisten von damals als der teuer erworbene Kulturtempel, der das Cabaret Voltaire heute ist.
Apropos Teilhabe: Ein Leitbild beschreibt immer auch, wohin die Reise gehen soll. Wenn es, wie in diesem Fall, von Personen mit einem Durchschnittsalter weit über 50 Jahren konzipiert wird, stellt sich die Frage, wo die Jungen bleiben. Immerhin findet man bei den beratenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein paar junge Künstlerinnen und Künstler. Migrantinnen und Migranten aber muss man auch hier mit der Lupe suchen. Eine einzige Beteiligte am Kulturleitbild kommt ursprünglich aus einem aussereuropäischen Land, man bleibt also mehrheitlich unter sich.
Müsste die angestrebte Teilhabe nicht schon in den Schaltstellen der Kulturgeldverteilung stattfinden, damit nicht ein paternalistisches «Eure Kultur ist willkommen, wenn sie in unser Kunst- und Kulturschema passt» entsteht? Darum braucht es kurzfristig eine viel grössere Durchmischung in den Entscheidungsgremien.
Mittelfristig ist eine grössere Demokratisierung der Kultur anzustreben, zum Beispiel, indem man einen gewissen Prozentsatz des Kulturbudgets für die Quartiere einplant und dort bestehende und entstehende Projekte unterstützt. Die in der Smart-City-Strategie der Stadt so hoch gelobte Partizipation der Bevölkerung, Stichwort «participative budgeting», sollte in den Quartieren auch für kulturelle Initiativen und Projekte spielen. Die Menschen im Quartier wissen am besten, was es in ihrem Viertel braucht. Die Expertinnen und Experten sind die Bewohnerinnen und Bewohner, die unabhängig von Alter und Herkunft über das Kulturleben im Quartier mitbestimmen können. Ohne Unterscheidung zwischen Soziokultur und Kunst, zwischen Ernst und Unterhaltung.
Wir verdeutlichen dies an einem weiteren Beispiel: Das Projekt Kulturpavillon am Kreuzplatz, das vor einem Jahr von einer Gruppe engagierter Anwohner*innen und Künstler*innen initiiert und getragen wurde, ist gar nie bis in die Kulturabteilung vorgedrungen, sondern wurde auf der Ebene der Sozio-Kultur abgeklemmt.
Da wird ein Kinder- und Jugendtheaterhaus geplant, welches – zumindest nach konzeptionellem Stand heute – ein Theater für Kinder, aber nicht mit Kindern werden soll. Es ist zu befürchten, dass die reiche Stadt Zürich hier einen High-Tech-Tempel mit der besten Infrastruktur und der neuesten Technik erstellt, in dem die Kinder zwar konsumieren, aber nichts anfassen geschweige denn sich beteiligen dürfen. Inklusion, Interaktion, Lust wecken darauf, eigene Formen von Theater zu entwickeln – scheinbar Fehlanzeige! Die Stadt würde gut daran tun, sich in diesem Bereich an den bisher bestehenden und von der Bevölkerung bestens getragenen Vorreiterinnen zu orientieren, wie zum Beispiel am Kindertheater Purpur.
Aus all diesen Gründen steht die AL dem Kulturleitbild 2020-2023 kritisch gegenüber und wird das KLB mit Enthaltung zur Kenntnis nehmen. Es braucht mehr Mut für Neuerungen, nicht nur in der Theaterlandschaft. Bezüglich der Entwicklung der angestrebten Teilhabe werden wir uns weiterhin dafür einsetzen, dass sich das kulturelle Leben in den Aussenquartieren auch tatsächlich vermehrt von unten entwickeln kann. Deshalb unterstützen wir heute Abend auch die beantragten wiederkehrenden Beiträge für Hombis Salon. Aber Hombis Salon – im Kulturleitbild als Paradebeispiel aufgeführt, wie Kultur auch in Aussenquartieren gefördert werden soll – darf nicht zu einem bequemen Zurücklehnen führen.
Vielmehr sollte das der Startschuss sein für ganz viele kleinere und grössere Projekte in den Quartieren, die ebenfalls gefördert werden. Damit Projekte überhaupt entstehen und sich entfalten können, braucht es in allererster Linie Freiräume und Räumlichkeiten, in denen Kulturschaffende – Professionelle und Laien – die Möglichkeit haben, an Projekten zu arbeiten, auch mal zu scheitern und wieder aufzustehen. Gerade solche Freiräume werden in der Stadt immer rarer, weshalb aktiv Gegensteuer gegeben werden muss.
In vier Jahren werden wir die Kulturpolitik der Stadt zum Thema Teilhabe und Freiräume an der tatsächlichen Entwicklung messen.
Patrik Maillard (Kommissionsmitglied SK PRD/SSD)