Bei der Verstaatlichung 1902 haben die SBB das von ihren privaten Vorgängerbahnen gekaufte oder enteignete Land für ein Butterbrot übernommen. Noch heute figurieren die Grundstücke der SBB Immobilien (ohne Gebäude) für schlappe 75 Franken pro Quadratmeter in der Bilanz. Einen 200-Mio-Reibach realisierte die SBB 2009 beim Verkauf einer Europaallee-Parzelle an die UBS für 26’931 Franken pro Quadratmeter. Und in ihren Wohnbauten an der Europaallee, in Letzibach C und WestLink in Altstetten und in der Gleistribüne an der Zollstrasse kassiert sie für 3.5- und 4.5-Zimmer-Wohnungen 2’535 bis 5’885 Franken Bruttomiete pro Monat; für eine 1.5-Zimmer-Wohnung muss man zwischen 1’785 und 2’645 Franken aufwerfen. Unbezahlbar für die meisten und auch für das Gros der SBB-Angestellten, deren Pensionskasse mit den Erträgen saniert werden soll. Und es geht weiter: In den nächsten 15 bis 20 Jahren will die SBB AG 10’000 neue Wohnungen bauen – davon 1’400 im Kanton Zürich – und ihre Mieteinnahmen auf 1.2 Milliarden Franken knapp verdreifachen.
Bundesbern schaut weg
Alle vier Jahre formuliert der Bundesrat «strategische Ziele» für die SBB AG. Zur Division Immobilien hält die am 14. Dezember 2018 noch unter Verkehrsministerin Leuthard verabschiedete Vorgabe 2019 – 2022 lakonisch fest: «Sie partizipiert durch die gezielte Entwicklung ihres Portfolios und der Bahnareale an deren Wertsteigerung.» Ein copy-paste-Ziel wie in den Vorjahren. Immerhin: Beim Ausbau der Bahnhöfe zu Mobilitätsdrehscheiben «stimmt sie sich mit kantonalen und kommunalen Behörden ab». Bei den zahlreichen Entwicklungs- und Spekulationsprojekten des «Portfolios» verzichtet die Landesregierung jedoch höflich auf weitere Vorgaben. Im Klartext: die Immobilienpolitik der SBB geht dem Bundesrat am Arsch vorbei. Hauptsache, die Kasse stimmt.
Nagelprobe Neugasse
Der Widerstand gegen diese Abzockerpolitik wächst, vor allem in der Stadt Zürich. Hier sind bis jetzt bloss bei zwei von neun Projekten auf SBB-Arealen – Letzibach D und Zollhaus – gemeinnützige und damit preisgünstige Wohnungen realisiert worden oder vorgesehen. 1’140 Marktwohnungen mit Mondpreisen stehen gerade mal 298 zahlbare gegenüber. Aufgrund des auch in den Chefetagen registrierten Widerstands bot die SBB AG bei der geplanten Neuüberbauung auf dem Areal Neugasse erstmals einen Drittel gemeinnützige Wohnungen an. Aus Sicht der AL nicht genug, denn die SBB hat wohnpolitisch sehr viel gutzumachen. Mit einer Initiative, die im Gemeinderat hängig ist, fordert der 2017 gegründete Verein Noigass 100% kommunales und gemeinnütziges Wohnen und Arbeiten auf dem Areal. Doch der Bahnkonzern stellt sich nach wie vor taub.
Mieterverbands-Initiative verlangt Vorkaufsrecht für SBB-Areale
Der rot-grüne Stadtrat ist bisher viel zu wenig fordernd und selbstbewusst aufgetreten. Es brauchte den Druck der Bevölkerung, damit sich etwas bewegt. Ich hoffe, dass unser Beispiel in anderen Städten Mut macht. Aber wie bringen wir diesen Schwung nach Bern? Hier findet praktisch keine Diskussion statt. Mit der Initiative des Mieterinnen- und Mieterverbandes für mehr bezahlbare Wohnungen, über die wir im Februar 2020 abstimmen, würde ein wichtiges Instrument geschaffen: Kantone und Gemeinden sollen bei Grundstücken im Eigentum des Bundes oder bundesnaher Betriebe – vor allem SBB, Post und armasuisse – ein Vorkaufrecht erhalten. Werde ich am 20. Oktober in den Nationalrat gewählt, wird dies sicher einer meiner Schwerpunkte sein.
Manuela Schiller, AL-Spitzenkandidatin für den Nationalrat
“Meh Biss”-Kolumne der AL im P.S. vom 20. September 2019