Die lange Liste der Vorstösse zur Klimarettung gibt einen Vorgeschmack auf das Schaulaufen des heutigen Abends. Gibt es ein grosses Palaver oder werden Nägel mit Köpfchen gemacht? Wer wird bis Mitternacht das Klima gerettet haben? Wer hat die Lösung für das Klimaproblem gefunden? Wer hat’s erfunden? Steht am Schluss überraschenderweise die FDP mit ihrem locker aus der Hüfte geschossenen Bombardement an Forderungen als Königin der Zürcher Klimanacht da? Und wird ihr das bei den Nationalratswahlen helfen?
Wir von der AL-Fraktion stehen heute Abend vor einem Dilemma. Im Angesicht der grössten Herausforderung dieses Jahrhunderts, der Abwendung einer globalen Klimakatastrophe, versprechen einige der vorliegenden Vorstösse offensichtlich zu wenig zum Leben und doch zu viel, um zu sterben, weshalb wir ihnen – wenn auch nur halbherzig – zustimmen müssen. Wenig ist vielleicht besser als nichts.
Gefasste Beschlüsse auf Stadtgrund reichen nur bis zur Stadtgrenze, während das Klima auch darüber hinaus spielt. Massnahmen, die radikal und richtungsweisend wären, würden sofort den bürgerlichen und weniger klima-affinen Kanton auf den Plan rufen, wie wir das immer wieder in Verkehrs- und Baubelangen erleben dürfen. Und überhaupt: Was, so fragen wir uns, bringt denn ein in letzter Konsequenz durchökologisiertes Zürich, wenn die Welt um uns herum trotzdem zerfällt? Wir alle wissen, dass es eines grundlegenden Systemwechsels bedarf, für den alle politischen Ebenen und in letzter Instanz die Gesellschaft am gleichen Strick ziehen müssen. Erst dann können auch lokale Massnahmen im Verkehr, in Wirtschaft, Landwirtschaft und im Energiebereich, für Ernährung und den Schutz von Ressourcen und Natur ihre Wirkung entfalten. Erst dann können die Klimaziele erreicht werden.
Andere Rettungsmassnahmen des heutigen Abends kommen in homöopathischen Dosen daher und beruhigen zumindest das Gewissen. Für uns gestaltet sich die Einschätzung ihrer Wirkung schwierig. Was bringt es zum Beispiel dem Klima, wenn ein umweltfreundliches Auto länger auf einem Parkplatz stehen darf? Und kann man es uns verübeln, wenn wir gewissen Vorstössen, auf denen zwar das Etikett «Klimarettung» prangt, ablehnend gegenüberstehen, weil uns aus ihren Tiefen die Stimme des Hauseigentümerverbands entgegenhallt, dem bekanntlich seine Mitglieder am nächsten und alle Regulierungen ein Gräuel sind? Zusätzlich bezweifeln wir bei einigen der Forderungen – nicht zuletzt aufgrund der sehr salopp formulierten Begründungen – dass sie überhaupt zu Ende gedacht worden sind. Muss der Steildachbau tatsächlich angekurbelt werden? Warum genau soll die Stadt synthetisches Methangas kaufen? Und: Hat nicht schon jede städtische Kantine Vegetarisches im Angebot?
Ausserdem: Grossräumig ausgeklammert wurde in allen Vorstössen – auch in jenen, die die AL mitunterzeichnet hat – die soziale Frage. In keinem der Vorstösse zum Energieersatz wird zumindest angedacht, wie verhindert werden kann, dass die Kosten für die Massnahmen nicht auf die Mieterinnen und Mieter der Stadt abgewälzt werden. Unter keinen Umständen dürfen die durchaus notwendigen Energiesanierungen den Exodus der Ärmeren aus der Stadt noch zusätzlich ankurbeln. Es sei deshalb allen im Saal angeraten, die Klimaschutzwünsche vom kleinen oder grösseren Sozialdarwinisten, der in vielen von uns lauert, zu entkoppeln.
Wir erlauben uns heute Abend, die Vorstösse nach ihrer Wirksamkeit und Umsetzbarkeit zu beurteilen, und machen es uns dabei nicht einfach. Grundsätzlich möchten wir an dieser Stelle betonen, wie wichtig – gerade in den Bereichen Verkehr, Energie und Abfallwirtschaft – starke Gemeindebetriebe für die Erfüllung der Klimaziele in den nächsten Jahren sind, und wie essenziell es ist, diese weiter zu stärken. Zusätzlich sind wir überzeugt, dass sich mit klugen Entscheiden in der kommenden Beratung des kommunalen Richtplans Weichen stellen lassen, die einen weit bedeutenderen Beitrag an die Klimarettung leisten können als einige der Vorstösse von heute Abend.
Andreas Kirstein
Zürich, 25. September 2019