BAK-Algorithmus mit unrealistischen Holding-Prognosen
Im letzten Blog habe ich die BAK-Studie und ihre zum Teil überraschenden Ergebnisse vorgestellt. Nun, mit den Algorithmen ist es so eine Sache. Zunächst ist entscheidend, mit was für Parametern sie gefüttert werden. Statt mit künstlicher Intelligenz zu brillieren, sind Computerprogramme oft auch mit maschineller Dumm- und Blindheit geschlagen. So kommt der BAK-Algorithmus – von den Studienverfassern unhinterfragt – zum Schluss, dass bei Beibehaltung des status quo sogar im Szenario «schwache Reaktion» sämtliche 1’400 Holdings aus dem Kanton Zürich Reissaus nehmen und damit beim Kanton 77 Mio und in den Gemeinden 57 Mio Franken wegbrechen würden. Bei den vier grössten Holdings im Kanton handelt es sich um UBS, Credit Suisse, Swiss Re und Zurich Insurance, die gemäss Geschäftsberichten 2018 zusammen allein 124.4 Milliarden Franken Eigenkapital auf die Waage bringen. Diese Dach-Holdings sind alle personell und organisatorisch eng verzahnt mit ihren in der Stadt Zürich operativ tätigen Firmenzentralen. Ein Wegzug scheint wenig plausibel.
Zudem sind hier bei einem Nein zur Steuervorlage 17 problemlos angepasste Lösungen möglich. So kann ein Teil des Eigenkapitals, der auf Beteiligungen entfällt, von der Kapitalsteuer ausgenommen und damit insgesamt eine ähnlich tiefe Besteuerung erreicht werden, wie sie Holdings heute geniessen. Das führt weder bei den bisherigen Holdings zu nennenswerten Mehrbelastungen noch beim Staat zu Mindereinnahmen.
pwc, ey, KPMG & Co übertreiben Abwanderungs-Risiko
Sehr hoch gewichtet, ja dramatisch überspitzt wird in der politischen und medialen Diskussion das potenzielle Abwanderungs-Risiko auf kommunaler, kantonaler und internationaler Ebene, was sich offenbar auch im BAK-Algorithmus niederschlägt. Gezielt geschürt wird diese Abwanderungs-Panik vor allem von den grossen internationalen Treuhandfirmen wie pwc, ey, KPMG & Co, die vordergründig als Experten auftreten, im Hintergrund aber als Lobbyisten die Strippen ziehen. Bei diesem Steuersatz-Poker geht es stets nur um eines: schweizweit in möglichst vielen Kantonen die Gewinn- und Kapitalsteuersätze nach unten zu drücken.
Price Waterhouse Coopers gehört zu den grössten Lobbyisten für die Steuervorlage
Steuerbelastung ist nicht das A und O
Sowenig es den früher von den Neoliberalen gehätschelten homo oeconomicus gibt, sowenig verhalten sich Firmen wie pawlowsche Hunde, die sklavisch nur steuerpolitischen Signalen folgen. Die Stadt Zürich hat einen vergleichsweise hohen Steuerfuss von 119 Prozent. Trotzdem hat Zurich Insurance Group 2014 ihren zweiten Firmenstützpunkt von Opfikon (damals Steuerfuss 99 Prozent) dichtgemacht und an die Thurgauerstrasse in Zürich-Nord verlegt. Die Geschäftsstelle «MIU Mobilität in Unternehmen» von Kanton und Stadt Zürich schreibt dazu:
«Im Zusammenhang mit dem Umzug in die neue gut erschlossene Liegenschaft und der neuen Parkplatzsituation hat Zurich umfassende Massnahmen umgesetzt. Energieeffizienz, Umweltstandards, Emissionsreduktion sind nur einige der berücksichtigten Themen. Die Mobilität war ein wichtiger Bestandteil des Umsetzungsplans und stand unter dem Lead von Corporate Responsibility.»
Zurzeit räumt die Swiss Re ihre Konzern-Niederlassung in Adliswil (Steuerfuss 100 Prozent) und zügelt alle Angestellten an den Hauptsitz in Zürich. Beide Versicherungskonzerne haben am Zürcher Mythenquai grosse Neu- und Erweiterungsbauten erstellt oder sind daran. Adecco, ein weiteres Börsenschwergewicht im SMI, ist 2017 vom kostengünstigen Opfikon – Steuerfuss mittlerweile noch 94 Prozent – in das Stadtzürcher Seefeld umgezogen, obwohl dort Steuern wie Mieten massiv höher sind.
Weiche Standortfaktoren
Ohne qualifizierte Angestellte können Konzerne ihre Profite nicht realisieren und dafür spielen andere Standortfaktoren wie öV-Erschliessung, Kinderbetreuung, Kulturangebot, attraktives Firmenumfeld etc. eine zentrale Rolle. Würde Alphabet-Google nur nach den Gewinnsteuersätzen schielen, hätte der US-Konzern seinen grössten Auslandstandort für Forschungs- und Entwicklung mit gegen 3’000 Arbeitsplätzen wohl kaum in der Stadt Zürich angesiedelt.
Trotz massivem Steuergefälle wenig Abwanderung aus Zürich
Auch interkantonal ist die Situation deutlich weniger dramatisch als sie die Lobbyisten schwarzmalen. Bereits heute klaffen die Firmensteuersätze zwischen Zürich und der Zentralschweiz stark auseinander: Aktuell zahlt ein Unternehmen an Bund, Kanton und Gemeinde in der Stadt Zürich 21.15% Gewinnsteuern, in Zug bloss 14.62% und in Luzern gar nur 12.32%; die Kapitalsteuer beträgt in Zürich 0.75 Promille, in Zug und Luzern 0.5 Promille, für Holdings in Zürich 0.15 Promille, in Zug 0.02 Promille, in Luzern gar nur 0.01 Promille. Trotzdem ist es nicht zum grossen Exodus von Zürich in die Innerschweiz gekommen.
Takeda zieht von Zug nach Zürich
Es gibt auch immer wieder Wanderungen in der Gegenrichtung. Nach der Übernahme des Shire-Konzerns für 62 Milliarden Dollar hat Takeda, der grösste japanische Pharma-Konzern, 2019 den bisherigen Standort von Shire in Zug dichtgemacht und alle verbleibenden Arbeitsplätze in Opfikon konzentriert.
«Der Entscheid, den Zürcher Standort auszubauen, sei aufgrund der Nähe zum Flughafen und wegen des Life-Science-Clusters im Grossraum Zürich gefallen. (…) Zürich sei am besten geeignet, um die langfristigen Wachstumspläne des Unternehmens in Europa zu unterstützen.»
(Luzerner Zeitung 17. Mai 2019)
Das Dow Chemical-Märchen
Auch international ist die Situation weitaus komplexer, als uns allgemein weisgemacht wird. An der Medienkonferenz der Finanzdirektion für die Steuervorlage 17 hatte auch Marc Winet, Country Leader von Dow Europe GmbH in Horgen, zusammen mit Regierungsrat Stocker und Gemeindepräsident Leuthold (beide SVP) einen gut inszenierten lokalpatriotischen PR-Auftritt pro Horgen. Ein etwas anderes Bild zeigt allerdings ein Blick in die Handelsregistereinträge des US-amerikanischen Konzerns, der letztes Jahr mit DuPont fusioniert hat und seinen Sitz für Europa, Afrika, Nahost und Indien in Horgen unterhält. Im Juni 2018 übernahm die 2 Milliarden schwere Dow International Holdings SA in Horgen «im Rahmen einer gruppeninternen Umstrukturierung» die ein Jahr zuvor in Zug gegründete Dow Orion Switzerland Holding GmbH mit Aktiven von 21 Milliarden Franken, die anschliessend liquidiert wurde. Damit wurden grosse Vermögenswerte von Zug nach Zürich verschoben. Im September 2016 wurde in Horgen die von der Dow Luxembourg Galaxy Holding Sarl kontrollierte Dow Switzerland Holding GmbH mit einem bescheidenen Kapital von 25’700 Franken gegründet. Sie übernahm dabei Aktien der Dow Luxembourg Spectrum Holding Holding Sarl sowie alle Anteile an der DC Spectrum Holding C.V. in Hoek (Niederlande) im Wert von 26.2 Milliarden Dollar und überliess letzterer anschliessend alle zuvor erworbenen Anteile an der Dow Luxembourg Spectrum Holding Holding Sarl. Hier wurde Ende 2017 umgekehrt der Firmensitz nach Zug verlegt, wo 2018 die dort domizilierte Dow MS Switzerland Holding GmbH mit Aktiven von 16.9 Milliarden Franken übernommen wurde.
Marc Winet (Dow Europe), Regierungsrat Stocker und Theo Leuthold, Gemeindepräsident Horgen auf PR-Tour
Internationales Steuer-Karussell
Bei diesen Hin-und-Her-Fusionen und Übertragungen von Vermögenswerten im zweistelligen Milliardenbereich zwischen Horgen, Zug, Luxemburg und den Niederlanden wird einem richtiggehend schwindlig. Dank der Mutter-Tochter-Richtlinie der EU, die über die Bilateralen und Doppelbesteuerungsabkommen auch für die Schweiz gilt, können Gewinne problemlos steuerfrei nach Luxemburg oder Holland verschoben werden. Wo am Ende wieviel Steuern bezahlt werden, ist schwer eruierbar. Die einzelnen Länder fungieren dabei bloss als steuerpolitische Verschiebebahnhöfe, die je nach Konstellation angesteuert oder verlassen werden. Dass der Dow-Europasitz bei einem Nein zur Steuervorlage 17 – wie in den Medien angedroht – nach Holland verlegt würde, ist wenig wahrscheinlich. Die Niederlande stehen – neben anderen Dumpinganbietern wie Luxemburg, Belgien und Irland – zurzeit unter verschärfter Beobachtung der EU-Kommission und der OECD. Und überhaupt besteht der Charme solcher internationaler Monopoly-Konstrukte darin, dass man Vermögenswerte zwischen verschiedenen Standorten hin und her schieben kann.
In der nächsten Folge analysieren wir die neuen Steuerschlupflöcher.
(Fortsetzung folgt)
Niggi Scherr: Züri-Bschiss Nr. 7: NEIN ermöglicht besseren Plan B (PDF)
Niggi Scherr: Züri-Bschiss Nr. 6: Wer profitiert? (PDF)
Niggi Scherr: Züri-Bschiss Nr. 4: Neue Steuerschlupflöcher – eine Reise ins Ungewisse (PDF)
Niggi Scherr: Züri-Bschiss Nr. 1: Eine rundum ungerechte Steuervorlage (PDF)