Dass die SP die USR IV- alias STAF-Vorlage unterstützt, weil sie eine Zusatzfinanzierung für die AHV enthält, kann ich noch einigermassen nachvollziehen. Auch wenn es sich für die Linke noch nie ausbezahlt hat, langfristige strategische Positionen – wie etwa eine möglichst hohe Besteuerung des Kapitals – für kurzfristige soziale Zugeständnisse preiszugeben. Aber sei’s drum. Was mich dagegen schockiert und beelendet, ist das penetrante Schönreden des Steuerteils durch prominente Exponentinnen und Exponenten der SP.
1. Umkehr in der Steuerpolitik?
Im WoZ-Streitgespräch zur STAF gibt sich SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo überzeugt: «Wir haben unter schwierigen Bedingungen Fortschritte erreicht. Der Steuerdampfer fährt endlich in eine andere Richtung.» (WoZ 25. April 2019) Und Jacqueline Badran, eine der vehementesten Gegnerinnen der USR III, doppelt am 1. Mai in Horgen nach: «Mit der Vorlage steigen wir aus der Steuerdumping-Lokomotive aus. Üble Kapital-Privilegien werden aufgehoben.» (P.S. 3. Mai 2019)
Ziemlich anders sieht es einer, der es wissen muss, Pascal Saint-Amans, Steuerpolitikchef der OECD, ebenfalls in der WoZ: «Die Schweiz stimmt Mitte Mai über die Abschaffung von Sonderregimes etwa für Holdings ab, die sie allerdings durch neue Steuervergünstigungen kompensieren will. Sicher ist, dass die Schweiz damit keine Umkehr ihrer Steuerpolitik vollzieht.» (WoZ 21. März 2019) Dass das Holding- und andere Steuer-Privilegien fallen müssen, steht seit langem fest. Ihre unvermeidliche Abschaffung – die in der USR III genau gleich vorgesehen war – jetzt als Grosserfolg zu verkaufen, ist unredlich. Entscheidend ist, was nachher kommt.
2. USR I: Skandalöser Beteiligungsabzug bleibt
Weiter behauptet Birrer-Heimo: «Kommt dazu, dass wir mit dieser Vorlage die grössten Fehler aus den Unternehmenssteuerreformen I und II korrigieren.»
Fehlanzeige: An der USR I von 1998 wird gar nichts korrigiert. Damals wurde eine Ausweitung des sogenannten Beteiligungsabzugs beschlossen. Seither können Konzerne massgebliche Beteiligungen in der Schweiz verkaufen, ohne einen Rappen Gewinnsteuern zu zahlen. Von diesem Steuerschlupfloch hat etwa Nestlé 2008 und 2010 beim milliardenschweren Verkauf der Alcon an Novartis profitiert und es kann weiterhin von ausländischen Multis genutzt werden.
3. Dividendenbesteuerung: eine Niederlage der Linken
Unter dem knackigen Titel «Ja zur STAF heisst Nein zur Steuerflucht» erklärt SP-Nationalrat Beat Jans im «P.S.»: «Erfolgreich haben wir auch erwirkt, dass Grossaktionäre endlich stärker zur Kasse gebeten werden. Der Bund besteuert ihre Dividenden neu mit 70 statt 50 Prozent und schreibt den Kantonen vor, sie mindestens zu 50 Prozent zu besteuern. Diese Massnahme bringt eine Erhöhung der Einnahmen beim Bund von ca. 100 Mio. und in einigen Kantonen von ca. 120 Mio. Franken.»
Nun ja, man kann Niederlagen auch zurechtbiegen. Richtig ist, dass die Dividenden beim Bund neu zu 70 Prozent besteuert werden; allerdings waren es im Privatvermögen bereits bisher 60 und nicht 50 Prozent… Gar nichts «erwirkt» hat die SP dagegen bei der Dividendenbesteuerung in den Kantonen. Im Gegenteil: die vom Bundesrat beantragte Mindestbesteuerung von 70 Prozent – die immerhin 335 Mio Franken eingebracht hätte – wurde von der Lobby der Grossaktionäre – u.a. vertreten durch Martullo-Blocher – im Parlament abgeschossen. Die beschlossene «Verpflichtung», mindestens 50 Prozent zu versteuern, bringt nix gegenüber dem Status quo: neben Aargau (40%) haben bloss die drei Kleinstkantone Glarus, Uri und Appenzell heute Sätze unter 50 Prozent. Wie in diesen vier Kantonen 120 Mio Franken Mehreinnahmen zusammenkommen sollen, bleibt das Geheimnis von Jans.
4. Entlastungsbegrenzung: Alter Wein in neuen Schläuchen
«Weiter wird endlich verboten,» – so Jans – «mehr Abzüge als Gewinne auszuweisen. Die Entlastungsbegrenzung schreibt neu vor, dass alle Unternehmen mindestens 30 Prozent ihrer Gewinne zum vollen Steuersatz besteuern müssen. Ein solches Minimum gab es bisher nicht.»
Diese Entlastungsbegrenzung ist nichts Neues. Sie war schon in der von der SP heftigst bekämpften USR III genau gleich enthalten, nur mussten dort mindestens 20 statt 30 Prozent versteuert werden. Zudem: die Begrenzung gilt nur für die neuen Steuerschlupflöcher, die alten können weiterhin unbegrenzt genutzt werden. Unterm Strich bleibt, dass bei der Nutzung aller neuen Schlupflöcher mehr als zwei Drittel der Gewinne am Fiskus vorbeigeschleust werden können.
5. Kapitaleinlageprinzip: Der Berg hat ein Mäuslein geboren
Beat Jans weiter: «Sie korrigiert auch das Kapitaleinlageprinzip (KEP). Globale Steuervermeider haben daraus ein Geschäftsmodell gemacht. Dieses erlaubt ihnen, Gewinne zu tarnen und vollständig steuerfrei auszuschütten. Die STAF durchkreuzt dieses Geschäftsmodell. Konzerne können neu gemeldete Kapitalreserven nur noch freigeben, wenn sie mindestens gleichviel steuerbare Dividenden ausschütten.»
Es trifft zu, dass das KEP korrigiert wird, allerdings nur sehr beschränkt. Die Korrektur gilt nur für Firmen, die an einer Schweizer Börse kotiert sind. Über 90 Prozent der 1’382 Milliarden Franken Kapitaleinlagereserven (Stand Ende 2018) sind jedoch bei nicht kotierten CH-Töchtern von ausländischen Multis gebunkert. Diese können weiterhin steuerfrei Gewinne an ihre Mutterkonzerne ausschütten; das ist besonders attraktiv für US-Firmen, die so die 5-prozentige Sockelsteuer vermeiden können, die bei der Verrechnungssteuer von der Schweiz einbehalten wird. 2018 haben internationale Konzerne, primär US-Multis, 334 Milliarden Franken in die Schweiz geschleust und 308 Milliarden Franken – dreimal mehr als im Vorjahr – wieder steuerfrei abgezogen. Daran ändert die STAF für die Zukunft kein Jota.
6. Auch SP dreht an der Abwärtsspirale
«Die Behauptung, die STAF würde die Steuerspirale zwischen den Kantonen anheizen, ist haltlos. Tiefsteuerkantone mit Steuersätzen unter 13 Prozent gibt es in der Schweiz schon seit Jahren. Bürgerliche Kantone brauchen dafür keine STAF. Luzern, Nid- und Obwalden, die beiden Appenzell und Zug lassen grüssen.» (Beat Jans)
Ein beliebtes SP-Manöver: mit dem Finger auf die bösen Bürgerlichen zeigen. Fakt ist jedoch, dass 2017 die Waadt und 2019 Baselstadt mit dem vollen Segen urbi et orbi der SP und gegen den Widerstand der Alternativen Linken die Firmensteuern brachial auf Innerschweizer Niveau gesenkt haben. In Basel hat SP-Finanzministerin Eva Herzog eine Lex Novartis vom Feinsten gebastelt. Die STAF und die kantonalen Steuervorlagen sind siamesische Zwillinge: Die Bundesvorlage ist explizit darauf angelegt, Steuersenkungen in den Kantonen anzustossen.
7. Rote Teppiche lassen sich nicht straflos ausrollen
Zum Schluss nochmals Prisca Birrer-Heimo: «Ich komme aus dem Tiefsteuerkanton Luzern, dort haben wir immer gegen die Steuersenkungen gekämpft. Wir wollten sie bei den juristischen Personen mit einer Initiative rückgängig machen. Aber wir sind damit gescheitert. Das heisst mit anderen Worten: Du kannst das nicht so einfach bremsen.»
Die Luzerner SP-Nationalrätin bringt das Problem unwillentlich auf den Punkt: Einmal bewilligt und etabliert, können Steuerermässigungen für Firmen und Reiche praktisch nicht mehr rückgängig gemacht werden. Wer eine Umverteilung von unten nach oben verhindern will, muss solche Erleichterungen von Anfang an konsequent bekämpfen. Lässt sich die Linke hier auf Tauschgeschäfte ein, hängt sie bald am Tropf der Multis und wird finanzpolitisch beliebig erpressbar. In Zürich konnten wir die Pauschalsteuer noch im Anfangsstadium abschaffen, in der Waadt ist eine Aufhebung heute praktisch undenkbar.