«Es gibt bei der Kopplung von Unternehmenssteuerreform und AHV-Sanierung streng genommen überhaupt kein Gegengeschäft. Dafür, dass der normale Steuerzahler für Gewinnsteuersenkungen geradestehen muss, wird ihm lediglich das zweifelhafte Privileg eingeräumt, auch noch seine eigene Altersvorsorge mit höheren Abgaben zu finanzieren.»
In seiner Kolumne «Die neue Steuerpolitik» (Republik 2. Februar 2019) bringt Daniel Binswanger präzis auf den Punkt, was vom AHV-Teil der Vorlage zu halten ist.
Keine Gegenfinanzierung
Der AHV-Teil umfasst drei Komponenten: höhere Lohnprozente (je 0.15% Arbeitgeber und Arbeitnehmer + 1’179 Mio CHF), volle Übernahme des Mehrwertsteuerprozents zur Abfederung der demografischen Entwicklung, von dem bisher nur 83 Prozent direkt in die AHV fliessen (+ 519 Mio CHF), sowie eine Erhöhung des heutigen Bundesbeitrags an die AHV (+ 296 Mio CHF).
Sehr speziell ist die Herleitung des höheren Bundesbeitrags. Statt einen höheren Prozentanteil des Bundes ins AHV-Gesetz zu schreiben, wird extra ein neuer Art. 103 Abs. 1bis–1quater eingefügt. Danach entspricht die Erhöhung «den geschätzten statischen steuerlichen Auswirkungen für Bund, Kantone und Gemeinden» beim Steuerteil der STAF, abzüglich der Mehreinnahmen aus den höheren Lohnprozenten und der vollen Überweisung des «Demografieprozents», alles berechnet auf Basis der Schätzwerte im Zeitpunkt des Parlamentsbeschlusses über die STAF.
Der AHV-Teil bringt zweifellos eine willkommene Entlastung für die AHV-Finanzen. Er ist aber keine Gegenfinanzierung. Er bringt keine Mehrbelastung des Kapitals, das beim Steuerteil massiv entlastet wird. Einzig der Arbeitgeberanteil an den höheren Lohnprozenten – rund 600 Mio Franken – kann als Beitrag der Kapitalseite betrachtet werden. Allerdings höchst begrenzt, da er bei der Festsetzung von Lohnerhöhungen regelmässig mit einberechnet und damit indirekt auf die Arbeitnehmer*innen überwälzt wird. Der grosse Rest wird direkt von den Erwerbstätigen und den Konsument*innen getragen.
Zudem: die Zusatzfinanzierung bringt keinerlei Verbesserungen bei den Renten.
Übergangsfinanzierung hält Rentenalter-Diskussion nicht auf
Obwohl grundsätzlich willkommen, ist die AHV-Finanzspritze nur wenig nachhaltig. Laut Berechnungen des Bundesamts für Sozialversicherung bringt sie lediglich von 2020 bis 2022 ein positives Umlageergebnis, und unter Einbezug der Kapitalerträge des AHV-Fonds schreibt die AHV bloss bis 2024 schwarze Zahlen. Damit erweist sich das Propaganda-Argument der SP, mit der STAF sei eine Rentenalter-Erhöhung für die Frauen auf absehbare Zeit vom Tisch, als Nebelpetarde. Im Tagesanzeiger vom 8. April 2019 hat Sozialminister Alain Berset denn auch unmissverständlich erklärt: «Die AHV-Reform wird der Bundesrat im August ans Parlament schicken. Er hat bereits klar gesagt, dass die Erhöhung des Frauenrentenalters Teil der Reform ist.»
SP feiert Erhöhung der Lohnprozente
Grund zum Jubel für die SP ist vor allem die Erhöhung der Lohnprozente. Laut SP-Präsident Levrat müssen «nur 7 Prozent Grossverdiener» zahlen, «alle anderen profitieren»; Corrado Pardini verkündet gar vollmundig: «Das ist die grösste Umverteilung, die im Land geschieht.» (TA 28. September 2018) Konsens besteht, dass die Mitfinanzierung der AHV über Konsumsteuern wie Mehrwertsteuer (sog. «Demografieprozent»), Tabaksteuer und Alkoholsteuer am wenigsten sozial ist, weil sie untere Einkommensgruppen proportional stärker trifft. Obwohl in der Wirkung degressiv, hat diese Finanzierungsform gegenüber den Lohnprozenten immerhin den Vorteil, dass sie alle Bevölkerungskreise und nicht nur die aktive Erwerbsbevölkerung zur Finanzierung heranzieht.
Wieviel Umverteilung steckt in Lohnprozenten?
Schauen wir uns die Finanzierung über Lohnprozente etwas genauer an. Ab einem massgebenden Einkommen von 84’600 Franken sind die Leistungen der AHV plafoniert, die Beitragspflicht nach oben ist dagegen nicht begrenzt. Damit kommt es bei der Finanzierung über Lohnprozente zu einer Umverteilung: die überschüssigen, nicht mehr rentenbildenden Beiträge werden genutzt, um die Renten der Versicherten aufzubessern, die tiefe Einkommen erzielt haben. In der Studie «Einkommensbezogene Umverteilung in der AHV» (Soziale Sicherheit 2/2016) hat die BSV-Mitarbeiterin Lalanirina Schnegg versucht, das Ausmass genauer zu bestimmen. In Zahlen sieht das so aus: 2015 zahlte die AHV Renten von 40’961 Mio Franken. Daran steuerte der Bund insgesamt 10’215 Mio Franken oder 27.9 Prozent bei. Die verbleibenden 30’747 Mio Franken wurden über AHV-Beiträge finanziert. Aufgrund ihrer Berechnungen kommt Schnegg zum Schluss, dass 8 Prozent der Rentner*innen mit höheren Einkommen einen Solidaritätsbeitrag von 1’748 Mio Franken zugunsten der anderen 92 Prozent erbringen. Das sind 4.7 Prozent der Rentenzahlungen.
STAF bringt 55 Mio Franken Solidarität: Berg hat ein Mäuslein geboren
Übertragen wir diese Ergebnisse auf den AHV-Teil der STAF. Die Erhöhung der Lohnprozente spült zusätzliche 1’179 Mio Franken in die AHV-Kasse. Der Solidaritätsbeitrag von 4.7 Prozent, den die Gutverdienenden leisten, macht also ganze 55 Mio Franken aus – das bei erwarteten Rentenzahlungen von 45.5 Milliarden Franken im Jahr 2020. Hier von der «grössten Umverteilung» im Land zu sprechen, grenzt eher an Verhältnisblödsinn. Als Schlussfolgerung aus ihren Berechnungen schreibt denn auch Lalanirina Schnegg nicht zu Unrecht: «Die einkommensbezogene Solidarität ist weit weniger stark als gemeinhin angenommen.»
AHV-/Steuer-Kuhhandel: Kein Vergleich mit Mehrwertsteuer-Abstimmung 1993
Im Grunde bestreitet niemand, dass die STAF ein politischer Kuhhandel ist, der zwei sachfremde Geschäfte verknüpft. Ob das politisch und juristisch rechtens ist, darüber kann man streiten. Eindeutig ein demokratiepolitisches No-Go ist jedoch, dass wir nicht über die beiden Teile separat abstimmen können, immer mit der Vorgabe, dass bei einem Nein die ganze Vorlage als abgelehnt gilt. Als Vorbild und Präjudiz für den AHV-/Steuerdeal wird stets – zuletzt auch von Ruedi Strahm – das Abstimmungs-Päckli bei der Einführung der Mehrwertsteuer im November 1993 angeführt. Zu Unrecht: Damals konnten die Stimmberechtigten über drei getrennte Vorlagen abstimmen, die zudem sachlich verknüpft waren: die Einführung der Mehrwertsteuer an sich, eine Satzerhöhung von 6.2% auf 6.5% und eine künftige Erhöhung von 1% zugunsten der AHV. Der Einführung der Mehrwertsteuer stimmten 66.7 Prozent, der Erhöhung auf 6.5% 57.7 Prozent und dem AHV-Prozent 62.6 Prozent zu.
Lalanirina Schnegg: Einkommensbezogene Umverteilung in der AHV (CHSS Nr. 2 ? Juni 2016)
https://soziale-sicherheit-chss.ch/artikel/einkommensbezogene-umverteilung-in-der-ahv/