Jahr für Jahr spielt sich im Kantonsrat jeweils im Dezember während der Budget-Debatte dasselbe Trauerspiel ab: Lohnerhöhungen, Einmalzulagen, Gewährung des Teuerungsausgleichs, begründete Personalaufstockungen, fünfte Ferienwoche für das Staatspersonal und vieles mehr werden von der bürgerlichen Mehrheit unter Federführung der FDP im Kantonsrat wortreich und arrogant zerfleddert und danach knallhart versenkt. Die bürgerliche Mehrheit (SVP, FDP, GLP, CVP und sehr oft auch die EDU und BDP) überholt dabei ihre bürgerlichen Regierungsräte und Regierungsrätinnen noch rechter als rechts.
Sündenbockpolitik der Rechten
Die links-grüne Seite (AL, Grüne, SP und in vielen Fällen unterstützt von der EVP) argumentiert mit Verve, Herz und Verstand, doch prallen ihre Voten auf der rechten Ratsseite an einer Mauer von blankem Unverständnis ab. Ich habe mir die Mühe gemacht und alle Ratsprotokolle der vergangenen Budget-Debatten durchgelesen. Es ist erschreckend, welche Abgründe sich zwischen den Zeilen der bürgerlichen Voten auftun. Die rund 45’000 Staatsangestellten werden kollektiv für alles abgestraft, was im Staat angeblich falsch läuft. So werden sie beispielsweise verantwortlich gemacht für die «Gesetzesflut», für «die Zunahme der Bürokratie» oder für angeblich «komplizierte Bewilligungsprozesse». Dass die Hauptverantwortung für schludrige Gesetzgebungsarbeit und komplizierte Bewilligungsprozesse der bürgerlich dominierte Kantons- und Regierungsrat trägt, wird dabei ganz einfach verschwiegen.
Unterwürfig zu Diensten der Wirtschaft
Die Budget-Debatten verdeutlichen exemplarisch, was im Kantonsrat fehlt: eine breite und vielfältige Vertretung von Arbeitnehmenden, die weiss, wie es in der Arbeitswelt zu- und hergeht. Selbsternannte «Unternehmer» und Wirtschaftsvertreter, KMU-Vertreter, Bauern, Richter, Polizisten, Mitglieder von Gemeindeexekutiven und Gemeindepräsidenten sind im Kantonsrat übervertreten. Zu ihrer beliebten Hauptaufgabe gehört es, ideale Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu schaffen, ihr unterwürfig den roten Teppich auszubreiten. Sehr oft kommt es mir beim Zuhören ihrer Voten so vor, als würden sie die reale Arbeitswelt nur vom Hörensagen her kennen. Dass Angestellte nicht nur Kostenfaktoren sind, sondern Lohnerhöhungen und faire Arbeitsbedingungen auch mit Wertschätzung zu tun haben, können und wollen sie nicht nachvollziehen.
Verstärkung des Gewerkschaftsflügels
Zum Glück gibt es seit vielen Jahren die gewerkschaftliche Gruppe des Kantonsrates. Aktuell hat sie 25 Mitglieder. Seit Gewerkschaftsbundpräsident und AL-Kantonsrat Markus Bischoff die Leitung der gewerkschaftlichen Kantonsratsgruppe vor vier Jahren übernommen hat, nimmt sie langsam an Fahrt auf. Es wäre schön, wenn diese Gruppe bei den Kantonsratswahlen vom 24. März durch zahlreiche neue Kolleginnen und Kollegen verstärkt würde. Denn es gibt im bürgerlich dominierten Rat viel zu tun: für faire Löhne und fortschrittliche Arbeitsbedingungen für Staatsangestellte inklusive Lehrpersonen kämpfen (und eine fünfte und sechste Ferienwoche einführen, kein Fake, wie vom Regierungsrat vorgeschlagen); endlich einen Normalarbeitsvertrag für das Verkaufspersonal im Kanton Zürich einführen; Tagesstrukturen im ganzen Kanton ausbauen, damit es mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie endlich vorwärts geht; für ein Bildungssystem einstehen, das nicht separiert, sondern für alle zugänglich ist; Gleichstellung von Mann und Frau in allen Bereichen und auf allen Ebenen umsetzen; mehr Kulturförderung, die faire Arbeitsbedingungen für KünstlerInnen umfasst; und auch das Gesundheitspersonal verdient gesündere Arbeitsbedingungen.
Judith Stofer, AL-Kantonsrätin und Gewerkschaftssekretärin SSM