Aber die AL stellt den Mechanismus und die Dimension der Steuersenkungs- und Sparpolitik im Kanton Zürich in Frage. Die bürgerliche Mehrheit des Kantonsrates hat ein regelrechtes Karussell in Gang gesetzt, indem eine Steuersenkung das nächste Sparprogramm auslöst, und dieses wiederum die nächste Steuersenkung etc. In Schwung gehalten wird dieses „Rösslispiel“ durch die starre, mechanische Regel des mittelfristigen Haushaltsausgleichs: Sind über acht Jahre die Finanzen nicht im Lot, dann ist der Regierungsrat gezwungen, ein Sparpaket zu schnüren. Dies wird auch als „Politik mit dem Taschenrechner“ bezeichnet: Das Parlament kann Steuern senken und sich dann bei den Konsequenzen aus der Verantwortung stehlen.
Das Resultat davon war, dass dem Kanton durch die Steuersenkungen in den letzten 20 Jahren rund eine Milliarde Franken pro Jahr an Einnahmen entzogen wurde. Auf der anderen Seite folgte ein Sparprogramm nach dem anderen: Staatliche Leistungen wurden in erster Linie beim Sozialen, bei der Bildung und beim Umweltschutz reduziert.
Sparpolitik ist immer auch Umverteilungspolitik: Es werden auf der einen Seite Grossverdiener und Kapitalgesellschaften steuerlich entlastet, auf der anderen Seite wird namentlich der untere Mittelstand durch höhere Gebühren und reduzierte Prämienverbilligungen zusätzlich belastet.
Das Wechselspiel zwischen Steuersenkungen und anschliessenden Sparübungen hat kein Ende: Die Umsetzungsvorlage zur Steuervorlage 17 wird die Kapitalgesellschaften mit einer Senkung der Gewinnsteuer um 25% massiv entlasten. Eine echte Gegenfinanzierung ist nicht vorgesehen, denn die Privilegierung von Grossaktionären wird aufrechterhalten, die Besteuerung der Dividenden wird bloss um 10 Prozent auf 60% erhöht. Der Rest bleibt weiterhin steuerfrei.
Die Umsetzungsvorlage wird voraussichtlich ein Loch von rund 400 Mio. Franken pro Jahr in die Staatskasse reissen. Aber nicht genug: Der Regierungsrat will zudem die Steuern um weitere zwei Prozentpunkte senken. Was darauffolgen wird, ist unschwer zu erraten: Ein neues Sparpaket wird nötig werden, um jährliche Einnahmeausfälle von einer halben Mrd. Franken zu kompensieren. Im KEF 2019-2022 ist die Einnahmelücke bereits jetzt klar ersichtlich. Besonders störend an der Umsetzungsvorlage ist, dass keine sozialen Ausgleichsmassnahmen vorgesehen sind, wie beispielsweise eine Erhöhung der Kinderzulage oder der Prämienverbilligung.
Es ist Zeit, die bürgerliche Finanzpolitik grundsätzlich in Frage zu stellen: Denn die Steuerbelastung ist nur ein Faktor unter anderen, an dem sich die Standortattraktivität messen lässt. Und sie ist nicht einmal die wichtigste. Andere Elemente sind ausschlaggebend: Zu nennen sind (1) ein leistungsfähiges Bildungssystem, das Chancengleichheit und die Talente fördert und dank einer systematischen Integrationsarbeit aktiviert, (2) ein guter Arbeitsmarkt, der das vorhandene Potential mittels Tagesschulen sowie hervorragenden und ausreichenden familienexternen Kinderbetreuungseinrichtungen nutzt und (3) eine hohe Lebensqualität, indem die soziale Kohäsion durch einen leistungsfähigen sozialen Ausgleich gefördert wird.
Die permanente Sparpolitik versetzt den Kanton regelrecht in eine Schockstarre: Er ist nicht mehr in der Lage, in die Zukunft zu investieren.
Kaspar Bütikofer