Aufgrund gesellschaftlicher und demografischer Veränderungen ist es notwendig, sich auch von Parlamentsseite einmal genauer mit dem Thema «Alter in der Stadt» zu beschäftigen. In seiner bisherigen Altersstrategie ging der Stadtrat nämlich noch davon aus, dass die meisten Menschen in der dritten (von der Pensionierung bis zur Pflegebedürftigkeit) bzw. spätestens in der vierten (von der Pflegebedürftigkeit bis zum Tod) Lebensphase institutionell betreut werden wollen. Dementsprechend stellte die Stadtregierung eine beträchtliche Geldsumme auf die Seite, um die städtischen Alters- und Pflegezentren mittel- bis langfristig renovieren zu können. Im Verlauf der letzten Jahre haben sich die Stimmen vermehrt, welche diese Strategie hinterfragten. Letztlich lautete die Hauptkritik an diesem Vorgehen, dass der bisherige Plan keine Antworten zum gesellschaftlichen Trend der Pluralisierung der einzelnen Lebensentwürfe liefere.
Kritik an der bisherigen Strategie
Einerseits wurde bemängelt, dass die Stadt Zürich entgegen der Prognose des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums an einem Modell festhalte, bei welchem das Wohnen im Alter praktisch ausschliesslich in Alters- und Pflegezentren stattfinde. Diese Vorstellung werde allerdings gerade von der «Babyboomer_innen»-Generation, welche in nächster Zeit ins Rentenalter kommt, hinterfragt. Aufgrund ihrer verhältnismässig guten Gesundheit würden diese Personen andere Wege als ihre Vorfahren wollen und nach individuellen Versorgungslösungen verlangen. Mit dem Resultat, dass zunehmend betagte Menschen den Wunsch hegen werden, möglichst lange in den eigenen vier Wänden leben und wenn es geht, auch sterben zu können. Diese Entwicklung führe dazu, dass in nächster Zukunft viele Betten in den Alters- und Pflegezentren nicht mehr notwendig sein würden. Daher solle die Stadt die Renovation oder gar Neubau von weiteren Häusern in diesem Bereich überprüfen und viel mehr in ambulante – und insbesondere flexible – Angebote investieren.
Andererseits wurde kritisiert, dass die bisherige Altersstrategie die Diversität der Stadtbevölkerung kaum berücksichtige. Zwar schreibe der Stadtrat in seiner Broschüre aus dem Jahr 2012 über die «bereichernde Vielfalt des Alterns» und dass die diversen Lebensläufe zu respektieren seien. Allerdings schweigt er darüber, mit welchen Mitteln die Alters- und Pflegezentren diese Maxime umsetzen sollen. Er analysierte in seiner Strategie nicht die Situation von Minderheitsgruppen und definierte folglich auch keine entsprechenden konkreten Massnahmen. Wenn aber auf edle Worte keine klaren Taten folgen, dann muss man sich nicht über die enttäuschenden Resultate wundern: Bar eines expliziten Diversity-Konzepts ist heutzutage die Schwelle ausserordentlich hoch, dass sich homo- und bisexuelle bzw. trans Personen in einem städtischen Alters- oder Pflegezentrum anmelden, geschweige denn, dass sie in diesen Institutionen geoutet leben können. Das ist nicht nur eine persönliche Meinung, sondern wird indirekt durch die Antworten auf eine parlamentarische Anfrage «LGBT & Alter» bestätigt.
«Queer Altern»
Unter anderem ist aufgrund dieser prekären Situation der Verein «queer Altern» entstanden. Seit seiner Gründung im Jahr 2014 hat er nicht nur immer wieder auf diese Defizite hingewiesen, sondern die Existenz einer Alters- und Pflegeunterversorgung der LGBT*-Community mittels Studien untermauert und entsprechende alternative (Bau-)Projekte zu realisieren versucht. Die Geschichte dieser multiplen gescheiterten Anläufe ist natürlich auch ein Symptom der bisherigen konzeptlosen «Respekt vor Diversität»-Strategie. Obwohl der Verein auf seiner Homepage von wichtigen politischen Vertreter_innen unterstützt wird, hat er in allen seinen Vorhaben meist viele, schöne Unterstützungssätze gehört, aber ausser ein wichtiges, da medienwirksames Schulterklopfen kaum substanzielle Hilfe erfahren.
Deshalb war es auch wichtig, dass verschiedene Gemeinderät_innen bereits im letzten Jahr «queer Altern» über die bevorstehende Altersdebatte informierten. Auf diese Weise hat der Verein die Möglichkeit die Aktion, welche vor den Toren des Ratshauses stattfand, «sichtbar» zu organisieren. Mit diesem Signal war es allen Parlamentarier_innen klar, dass sie an diesem Abend einiges über die Bedürfnisse der alternder LGBT*-Bevölkerung hören würden.
Die Ratsdebatte
Vor Eintritt in die Ratsdebatte legten die verschiedenen Parteien mittels Fraktionserklärungen ihre Positionen fest. Hierbei zeigte sich schnell, dass sich ausschliesslich die Ratslinke (AL, Grüne, SP) und die GLP für die fehlende Integration von LGBT*-Personen in den städtischen Institutionen interessierte. Explizit gingen alle diese Parteien auf die oben genannten Probleme ein und forderten, dass sich diese Situation schnell ändere. Die Ratsrechte (EVP, FDP, SVP) äusserte sich hingegen im Rahmen der mehrstündigen Debatte kaum zu dieser Problematik, was wohlwollend als stille Zustimmung zu den LGBT*-friendly Voten oder etwas realistischer als demonstratives Desinteresse bezüglich dieser Thematik interpretiert werden kann.
Drei Wünsche an den Stadtrat
Im Verlauf der Sitzung wurden drei Postulate eingereicht, um die zukünftige Altersstrategie mit griffigen Instrumenten zu versehen, damit sich in den nächsten Jahren die Situation der homo- und bisexuellen bzw. trans Personen in den Alters- und Pflegezentren massiv verbessere. Ein Postulat (AL- und Grünen-Fraktion) forderte die explizite Verankerung des «Diversity»-Konzepts – und damit auch einer expliziten LGBT*-Perspektive – in die neue Strategie. Zwei weitere der «Regenbogenmitglieder» der AL-, GLP-, Grünen- und der SP-Fraktion verlangen einerseits, dass der Stadtrat zukünftig auf die spezifischen Bedürfnisse der LGBT*-Community eingehe und Betreuungsangebote schaffe, damit LGBT*-Menschen trotz Eintritt in städtische Institutionen weiterhin ihren eigenen Lebensentwurf leben können. Neben diesem Inklusionsansatz wurde der Stadtrat darum gebeten, dass er im Rahmen der Altersstrategie ein spezifisches Wohnbauprojekt fordere, in welchem ältere LGBT*-Menschen einen Platz finden sollen.
Andreas Hauri, welcher sich bereits Ende letztes Jahres mit dem Vorstand von «queer Altern» getroffen hat, zeigte sich von Beginn an offen für diese Forderungen und versprach, diese Ideen – soweit möglich – in die neue Altersstrategie zu integrieren. Ob ihm das wirklich gelingt, wird sich im Verlauf dieses Jahres zeigen. Erst wenn die neue Altersstrategie das Licht der Welt erblickt, werden wir entscheiden können, ob der lange Weg zum silbernen Regenbogen sein würdiges Ende findet.