Du schreibst dir die Finger wund im vergeblichen Bestreben, meinem Blog über den handwerklichen Pfusch der SP-Stadion-Initiative etwas entgegenzusetzen. Du schwelgst wortreich in heroisch-nostalgischen Erinnerungen an gemeinsame wohnpolitische Kämpfe und schiesst aus allen Rohren gegen das Ensemble-Projekt. Und schmeisst mir dann den Vorwurf vor die Füsse: «Seit wann, lieber Niggi, bist denn Du für eine riesige Menge an teuren renditeorientierten Luxuswohnungen statt vielleicht etwas weniger aber dafür gemeinnützige Wohnungen?»
Absoluter Bullshit! Totale Fehlanzeige! Da muss ich mich entschieden für die verlorene Ehre des Niggi Scherr zur Wehr setzen. Liebe Jacqueline, nimm bitte zur Kenntnis:
- Du musst nicht weinen: Ich bin nicht zur CS und den Ensemble-Investoren übergelaufen. Nicht jeder, der sich erlaubt, die SP oder eines ihrer Projekte zu kritisieren, ist deswegen gleich ein Handlanger des Klassenfeinds oder der Immobilien-Mafia.
- Ich bin ein Gegner der Ensemble-Vorlage, spiele nicht auf dem «Linken Flügel» wie einzelne meiner Parteigenossen und werde am 25. November Nein stimmen. Weil ich ein zweites Stadion für überflüssig, zumindest aber nicht prioritär, halte und nicht zu haben bin für undurchsichtige Public-Private-Kuhhändel. Das habe ich – zusammen mit der Mehrheit – auch an der AL-Vollversammlung vom 25. September klar vertreten. Dazu hat übrigens ein nicht angemeldetes Mitglied der SP-Geschäftsleitung ein detailliertes Protokoll erstellt, das dir bekannt sein dürfte.
- An der AL-VV haben auch Menschen Nein gesagt, weil sie Fans der einmaligen Hardturm-Brache sind oder weil sie Hochhäuser an diesem Standort daneben finden.
- Eine Minderheit war bereit, die CS-Kröte zu schlucken, weil ihr eine echte Fussball-Arena samt Kessel-Ambiente und Fussball als Integrationsprojekt wichtiger sind.
- Da das VV-Nein nicht überwältigend deutlich ausfiel, wurde anschliessend mit knappem Mehr Stimmfreigabe beschlossen. Stell dir vor, so etwas ist in unserer Partei möglich…
Nun zum Inhaltlichen. Ich habe eure Initiative als unrealistisch, unredlich und möglicherweise gesetzwidrig kritisiert. Und bleibe auch nach deinem als «Replik» deklarierten Rundumschlag dabei.
Meine Kritik Nr. 1: unrealistisch
Selbstverständlich ist eine Abstimmungs-Wiederholung politisch zulässig. Ob das Stimmvolk nur fünf Jahre nach seinem Nein einem steuerfinanzierten Stadion zustimmen würde, ist eine Einschätzungsfrage. Dass eine Mehrheit nach drei gescheiterten Anläufen Bock auf eine sozialdemokratische vierte Neuauflage hat, wage ich jedoch nach wie vor stark zu bezweifeln. «Würde man die Bevölkerung nicht periodisch das Gleiche fragen dürfen, hätten wir keine AHV, kein Frauenstimmrecht, keinen Uno-Beitritt…» schreibst du. Was für ein Verhältnisblödsinn! Mich schockiert echt, liebe Jacqueline, dass du Kernanliegen der Linken wie die soziale Sicherheit oder die Gleichberechtigung auf die gleiche Stufe stellst wie die doch eher provinzielle Sachfrage, ob Zürich ein zweites Tschutti-Stadion erhalten soll oder nicht.
Meine Kritik Nr. 2: unredlich
Ich kritisiere, dass die SP-Initiative in ihrem 130-Mio-Kredit für den Stadionbau die Kosten für das Bauland – immerhin 40 – 50 Mio Franken – kurzerhand ausklammert und im Kleingedruckten an den Stadtrat delegiert. Damit wird dem Stimmvolk vorgegaukelt, euer Stadion sei viel billiger zu haben als bei der Abstimmung von 2013. «Bei der Ensemble-Vorlage» – so dein Konter – «kommen ebenfalls Kosten für die Landübertragung und Altlastensanierung hinzu.»
Mit einem klitzekleinen Unterschied: beim Ensemble-Projekt «kommen» die Landkosten nicht etwa noch «hinzu», wie du schreibst, sondern sind sichtbarer Teil der Abstimmungsvorlage vom 25. November. Diese enthält nämlich einen Kredit von 50.2 Mio Franken für die Übertragung des Stadion- und ABZ-Grundstücks vom Finanz- ins Verwaltungsvermögen. Und wir stimmen auch explizit darüber ab, ob die Stadt bei den beiden CS-Hochhäusern auf 1.7 Mio Franken Baurechtszinsen pro Jahr verzichten soll. Liebe Jacqueline, wenn du dem Ensemble-Projekt Mogelei und Intransparenz vorwirfst, solltest du dann nicht beim eigenen Projekt für ein Maximum an Transparenz sorgen? Ich bleibe dabei: wer dem Stimmvolk die wahren Kosten verschweigt, handelt unredlich.
Eure Initiative verspricht, dass der Stadt aus dem Betrieb «keine weiteren Kosten entstehen». Das habe ich als Wünsch-dir-was-Paragraphen kritisiert. Dass ich da nicht grundfalsch liege, musst Du selber zugeben:
«Es ist zwar unwahrscheinlich, aber Du magst sogar Recht haben, dass der Betrieb des Stadions ohne öffentliche Beiträge nicht möglich ist. Das gilt aber gleichermassen und sogar noch mehr für das Projekt Ensemble.»
Meine Kritik Nr. 3: möglicherweise gesetzwidrig
Dass eure Initiative möglicherweise auch gegen zwingende Vorschriften des Gemeindegesetzes für Kreditbeschlüsse verstösst, habe ich nur am Rande erwähnt. Es könnte aber eine Rolle spielen, weil politische Gegner das für Rekurse nutzen und damit eine ähnliche Verzögerung provozieren könnten wie die Hochausgegner aus Höngg. Dazu ist dir nichts Substanzielles eingefallen.
P.S. Liebe Jacqueline: Ich wäre dankbar, wenn wir damit unsere Polemik in Sachen Stadion beenden könnten. Und uns auf Kontroversen über Kernanliegen der Linken wie etwa die Haltung zum AHV-Steuerdeal konzentrieren würden, wo wir auf verschiedenen Seiten – ich für das Referendum, du dagegen – kämpfen.