Ich bin ohne Fernseher, dafür aber mit einer kinobegeisterten Mutter aufgewachsen. Wenn immer möglich schleppte sie mich und meine Geschwister ins Kino. Ich bin mit dem gesamten amerikanischen Disney-Repertoire (mein allererster Film war «Bambi»), praktisch allen Filmen von Kurt Früh («Bäckerei Zürrer», «Oberstadtgass», «Hinter den sieben Gleisen») und von Leopold Lindtberg («Wachtmeister Studer», «Füsilier Wipf») sowie Verfilmungen der Geschichten von Jeremias Gotthelf («Uli der Knecht», «Die Käserei in der Vehfreude», «Anne Bäbi Jowäger») aufgewachsen. Kino war unsere Kultur. Je näher sich die Geschichte des Films in unserer Umgebung abspielte, desto grösser war die Chance, dass wir ins Kino gingen.
Geschichten, die das Leben schrieb
In meiner Jugendzeit habe ich diese Kinotradition ohne meine Mutter weitergeführt. In der kleinen Stadt, in der ich zur Schule ging, traf sich die Jugend am Samstagabend zum Filmabend im Jugendhaus. Der Saal war immer rappelvoll, wenn die Filme von Alain Tanner, Claude Goretta, Michel Soutter, Jean-Luc Godard und weiteren Schweizer Regisseuren und Regisseurinnen über die Leinwand flimmerten. Wie habe ich mit dem pensionierten Knecht Pipe in «Kleine Fluchten» mitgelitten, wenn er die Kurve mit seinem neuen Mofa nicht schaffte und geradeaus ins Feld fuhr. Rolf Lyssys Film «Die Schweizermacher» hat auch heute Nichts von seiner Aktualität eingebüsst und bei jedem neuen Schauen entdecke ich neue Facetten.
Geschichten aus unserer Region
Auch heute noch bin ich eine regelmässige Kinogängerin. Wie viel mehr – und erst noch auf unterhaltsame Art – habe ich mit Jean-Stéphane Brons Film «Mais im Bundeshuus» über die Mechanismen der Schweizer Politik erfahren als mit einem trockenen Buch. Mit seinem Dokumentarfilm setzt Bron der Politik einen gleichzeitig bitterbösen wie auch humorvollen Spiegel vor. Mit poetischen Bildern entführt Sabine Gisiger die Zuschauerinnen und Zuschauer in den Kosmos von Friedrich Dürrenmatt und Petra Volpe erzählt in ihrem Film «Die göttliche Ordnung» die unrühmliche und harzige Geschichte über die Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz. Einfach mitreissend erzählt Paul Riniker in «Usfahrt Oerlike» die Geschichte einer Freundschaft eines lebensmüden Mannes (gespielt von Hansjörg Schneider) mit einem lebenshungrigen Mann (gespielt von Mathias Gnädinger).
Ich könnte noch unzählige weitere Filme aus unserer Region auflisten. Allen gemeinsam ist: Der Schweizer Film existiert und ist lebendig. Er erzählt unsere Geschichten, in unserer Sprache, und er spiegelt unsere Gesellschaft. Er verdient am 23. September ein kräftiges Ja zum Film- und Medienförderungsgesetz.