Es ist unbestritten, dass jede Observation Grundrechte tangiert. Der Stadtrat gewichtet also mit der geplanten Observationsverordnung die Bekämpfung von unrechtmässigem Sozialhilfebezug höher als das in der Verfassung verankerte Grundrecht auf den Schutz der Privatsphäre.
Kaum vorhandener Missbrauch
Das Sozialinspektorat wurde 2007 wieder eingeführt, als Antwort auf eine Missbrauchsdebatte, bei der gefühlte Wahrheiten die Fakten ersetzten. Tatsache ist aber, dass wir es hier bestenfalls mit einem Nullsummenspiel zu tun haben. Die Aufwendungen für das Inspektorat betrugen 2016 rund 1 Million Franken, die vermutete Schadenssumme betrug 1,6 Millionen Franken – nur ein Bruchteil der zurückgeforderten Summe wird jeweils zurückbezahlt. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Missbrauchsquote bei unter 1% liegt.
2016 erhärtete sich der Verdacht auf unrechtmässigen Sozialhilfebezug in 46 Fällen, also in 60% der Verdachtsfälle. In 40% der Verdachtsfälle wurde zu unrecht observiert.
Es ist völlig inakzeptabel, dass hier Grundrechte eingeschränkt werden, um einen in der Praxis nur marginal vorhandenen Missbrauch zu bekämpfen.
Verwaltung übernimmt polizeiliche Aufgaben
Aus unserer Sicht ist es höchstproblematisch, dass die Verwaltung Polizeiaufgaben übernimmt – dies verstösst klar gegen die Gewaltentrennung. Hier wird nicht observiert, also passiv beobachtet, hier wird überwacht. Das Inspektorat darf Scheinanfragen machen und Fahrzeuge ohne richterliche Genehmigung mit GPS-Peilsendern orten. Auch die Strafverfolgung kennt solche Massnahmen, für derartige Eingriffe in die Privatsphäre braucht es aber eine richterliche Genehmigung. Auf Bundesebene wurde am Montag im Nationalrat entschieden, dass im Sozialversicherungsrecht der Einsatz von GPS-Peilsendern eine richterliche Genehmigung benötigt, so verlangt es auch die Strafprozessordnung (StPO) und das Nachrichtendienstgesetz (NDG). Auch der Bundesrat bestätigt den richterlichen Vorbehalt, lehnt aber den Einsatz von technischen Instrumenten zur Standortbestimmung im Sozialversicherungsrecht generell ab. Auch wenn es auf Bundesebene um das Sozialversicherungsrecht geht und in der Stadt Zürich um Sozialhilfe – die grundrechtlichen Ansprüche sind natürlich die gleichen. Dass die Stadt Zürich mit der vorliegenden Verordnung noch weitergehen will als der Bund, ist mehr als nur beschämend für eine linksgrün regierte Stadt.
Strittige Legiferierungskompetenz
Für die AL stellt sich die Frage, ob die Stadt überhaupt solch weitreichende Regelungs-kompetenzen besitzt. Die Sozialhilfe ist im kantonalen Sozialhilfegesetz (SHG) geregelt, die Gemeinden sind nur für den Vollzug zuständig. David Henseler, wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl von Prof. Dr. Kiener an der Universität Zürich, kommt zum Schluss, dass das Sozialhilfegesetz (SHG) keinen Gesetzgebungsauftrag enthalte, auf den sich die Gemeinden stützten könnten. Die Regelung in §18 SHG, auf die sich der Stadtrat bezieht, lasse neben organisatorischen Massnahmen keinen Raum für kommunale Regelungen. Wir teilen diese Ansicht und werden zusammen mit der Stadtpartei der Grünen und drei juristischen Organisationen eine Beschwerde (Erlassanfechtungsrekurs gemäss §21b VRG) gegen die geplante Observationsverordnung einreichen.
Jagd auf Arme
Ein Stadtratsmitglied der Sozialdemokratischen Partei will die Grundrechte von marginalisierten und prekarisierten Menschen noch weiter einschränken. Um populistisch angetriebene Missgunst zu beruhigen, wird mit der vorliegenden Verordnung die Jagd auf die Schwächsten unserer Gesellschaft ermöglicht.