Die Partei der Arbeit (PdA), die erstmals seit Jahrzehnten zu den Gemeinderatswahlen antritt, legt ein umfangreiches Wahlprogramm vor. Das Wohnen darf darin natürlich nicht fehlen. «Bezahlbarer Wohnraum, jetzt!» ist der Abschnitt überschrieben. «Die Mieten steigen unaufhörlich (…) Das muss ein Ende haben. Die Partei der Arbeit (PdA) fordert zur Linderung der Notsituation eine sofortige Mietzinssenkung um 25 Prozent in der ganzen Stadt Zürich.» WoW! Allerdings führt die Partei nicht näher aus, wie sie diese knackige Forderung durchsetzen will. Am Schluss ruft die PdA dann «zur Gründung einer MieterInnengewerkschaft auf, die die lohnabhängigen MieterInnen kämpferisch organisiert». Und fügt in schönster «Wünsch-dir-was»-Rhetorik hinzu: «Bei MieterInnenstreiks, z.B. gegen hohe Mietzinse oder schlechte Wohnverhältnisse, darf den MieterInnen nicht gekündigt werden, und Mietzinsnachzahlungen können nicht eingefordert werden.»
Mieterstreik-Romantik
Die PdA lässt sich in diesem Kapitel offenbar vom Mieterstreik inspirieren, den KPS-nahe Kreise unter Führung des «Mieter-Generals» Itschner 1932 in Zürich organisierten. Zwar konnten vereinzelte Mietreduktionen durchgesetzt werden, der Streik brach aber angesichts der Zwangsausweisungen relativ rasch zusammen. Ausser 1977 in Genf ist danach in der Schweiz nie mehr ein Mieterstreik versucht worden. Auch die von Willi Münzenberg 1912 in Zürich gegründete Mietergewerkschaft überlebte keine zwei Jahre, den Zürcher Mieterinnen- und Mieterverband gibt es heute noch, mit über 50’000 Mitgliedern.
Erst Tragödie, dann Farce
Den PdA-Genossinnen und -Genossen empfehle ich ein Marx-Zitat aus «Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte»:
«Hegel bemerkte irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.
Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen. Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden. Und wenn sie eben damit beschäftigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise beschwören sie ängstlich die Geister der Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf, entlehnen ihnen Namen, Schlachtparole, Kostüm, um in dieser altehrwürdigen Verkleidung und mit dieser erborgten Sprache die neuen Weltgeschichtsszene aufzuführen.» (MEW Bd. 8, S. 115)
SP: Der grosse Sprung nach vorn?
Aber auch die SP lässt sich keineswegs lumpen. In ihrer Wahlzeitung «Zürich. Die offene Schweiz» verspricht sie nicht weniger als «10’000 gemeinnützige Wohnung (sic!) in den nächsten vier Jahren». Nochmals Wow! – diesmal für die SP. Das wären also 2’500 pro Jahr. Als kleinkarierter Realo kann ich mir einen Blick in die Statistik nicht verkneifen. Sie zeigt: Von 2014 – 2017 wurden – von allen Bauträgern zusammen – rekordhohe 10’766 Wohnungen gebaut. Diesen neu gebauten Wohnungen standen allerdings 3’975 Abbrüche gegenüber, womit sich per Saldo bloss ein Zuwachs von 6’791 ergab. Noch ungünstiger sieht es bei Stadt und Genossenschaften aus: 3’742 Neubauwohnungen stehen über 2’000 Abbrüche gegenüber, so dass sich netto lediglich ein Zuwachs von 1’588 Wohnungen ergibt. Das macht 397 gemeinnützige Wohnungen pro Jahr. Von 397 auf 2’500 pro Jahr – das erinnert mich irgendwie an Maos Grossen Sprung nach vorn…
Zweitwohnungen: Wo blieb André Odermatt?
Damit nicht genug, will die SP auch den Kampf gegen Zweitwohnungen und Business-Appartements aufnehmen: diese «sollen in der Bau- und Zonenordnung künftig nicht mehr zum Wohnanteil zählen». Das kommt mir verdächtig bekannt vor. Hat der Gemeinderat doch am 27. Januar 2010 eine Motion von mir mit genau dieser Forderung überwiesen (GR 2009/534). Allerdings hat dann SP-Stadtrat Odermatt 2012 beantragt, die Motion als unerfüllbar abzuschreiben. Seither ist in zwei Kommissionen viel darüber gestritten worden, im November 2016 erklärte sich Odermatt schliesslich einverstanden, auf eine Abschreibung zu verzichten, und versprach eine breite Auslegeordnung zum Thema. Vor einem Monat durfte meine Motion tief unten in den Amtsschubladen des sozialdemokratischen Hochbauvorstehers ihren achten Geburtstag feiern.
AL: 100 % gemeinnützig auf SBB-Areal Neugasse
Und was schlägt die AL vor? Ganz bescheiden fordert sie, im Einklang mit dem Verein «Noigass», dass die auf dem SBB-Areal Neugasse im Kreis 5 geplanten 300 – 400 Wohnungen zu 100 Prozent von gemeinnützigen Bauträgern erstellt werden. Und kämpft mit aller Kraft dafür. Kleine Brötchen schmecken durchaus lecker, man muss dafür nicht das Maul aufreissen. Wir finden eben, dass auch konkrete Realpolitik durchaus ihren Charme hat…
P.S. Kleine Werbung in eigener Sache: In meinem Buch «Nur noch für die Miete schaffen…? 125 Jahre Zürcher Mieterbewegung (1891 – 2016)» widme ich ein ganzes Kapitel der Frage «Konsumentenorganisation oder Gewerkschaft? Streik oder Reform? Wie kämpfen?». Das Buch können Interessierte für 10 Franken beim Zürcher Mieterinnen- und Mieterverband posten.