Von Melanie Berner
In den letzten Wochen kam es häufig vor, dass ich zu früh aufgestanden und gleichentags zu spät nach Hause gekommen bin, um meinem Kind ein «Guete-Morge-Drucki» oder einen Gutenachtkuss geben zu können. Das schlechte Gefühl über meine Absenz steht im Widerspruch zu meiner Überzeugung, dass man sich manchmal für etwas einsetzen muss, das wichtiger ist als die momentane persönliche Befindlichkeit.
Mein Kind kann dies noch nicht verstehen. Doch ich hoffe, dass das Einstehen für seine Überzeugungen ein Wert sein wird, den es auf seinen Weg mitnimmt. Zusammen mit einem solidarischen Gerechtigkeitsempfinden, Ehrlichkeit und Anstand.
Die No Billlag-Initiative ist ein fundamentaler Angriff auf den medialen Service public und die Medienvielfalt. Gleichzeitig symbolisiert sie für mich auch die Verrohung der meinungsbildenden Debattenkultur in unserer Demokratie. Anstand und Ehrlichkeit spielen bei zahlreichen No Billag-Diskussionen Nebenrollen.
Das wertvolle Instrument der Volksinitiative dient einmal mehr nicht als kompromissförderndes Korrektivinstrument, sondern als Kampagnenmaschinerie, in deren Fahrwasser auf einmal alle zu Medienexperten avancieren und unbekümmert gelogen wird.
Ich befürchte, dass die No Billag-Initiative nur der Anfang einer mächtigen Angriffswelle auf unser solidarisches Staatswesen ist. Ich wünschte mir, irgendjemand hätte vor ein paar Jahren eine allgemeine Solidaritätskampagne im grossen Stil geführt. Wenn mehr Menschen die elementare Bedeutung der Solidarität für eine funktionierende föderalistische Staatsstruktur erkannt hätten, wäre die No Billag-Initiative vielleicht nie zustande gekommen.
Das ist aber leider nicht passiert. Deshalb wünsche ich mir, dass ein ausgeprägtes Gerechtigkeits- und Solidaritätsempfinden vielleicht doch viel hipper und verbreiteter ist, als ich annehme. Denn wenn das so ist, besteht die Chance, dass die No Billag- Initiative am 4. März wuchtig abgelehnt wird.
Eine deutliche Niederlage der No Billag-Initiative würde zeigen, dass wir schweizweit füreinander einstehen. Es wäre ein Zeichen der Solidarität mit Sinnesbehinderten und Sprachminderheiten.
Wir würden den libertären Abschaffern, die sich feige hinter dem Billag-Begriff verstecken, zeigen, dass wir sie erkannt haben. Und vor allem wäre es ein Fanal gegen die schrittweise Umwandlung des Staates in ein AG-ähnliches Gebilde, in dem man nur noch erhält, was man aus eigener Tasche zu bezahlen vermag.
Aus: P.S. 2. Februar 2018 (Gewerkschaftliche Gedanken)