Willi, du hast zugesagt, für die Gemeinderatswahlen vom nächsten Frühling auf einer AL-Liste zu kandidieren. Warum?
Ich finde, in der politischen Landschaft braucht es eine Kraft mit autonom denkenden Köpfen. Der programmatische Teil ist weniger wichtig für mich. Ich wünsche mir ein sozial engagiertes, urban orientiertes Sammelbecken – die Leute bei der AL, die ich kenne, entsprechen dem.
Was bist du von Beruf?
Ich bin immer noch Journalist und Buchautor und zudem Geschäftsführer der jenischen Dachorganisation «Radgenossenschaft» – und im Übrigen mit Jahrgang 1948 AHV-positiv.
Woher kommst du von Seiten der Ausbildung?
Ich habe Geschichte studiert in Zürich, Marburg und Frankfurt und bin dann auf Umwegen über eine 68er-Karriere zu den Zeitungen gekommen. Dort fand ich in den Neunzigerjahren Unterschlupf, wo es für mich ideologisch möglich war, bei der damals linksliberalen Weltwoche. Später, nach dem Schwenker dieser Zeitung auf einen rechtskonservativen Kurs, 2002 bis zur Pensionierung 2013, schrieb ich für die NZZ am Sonntag.
Kannst du noch etwas zu deiner «68er- Karriere» sagen?
Ich war ein bunter Hund in Zürich, ein Exponent der maoistischen Strömung und bereue auch heute nichts, ausser dass es politisch eine Sackgasse war. Kulturell aber halte ich die 68er-Rebellion für einen Grosserfolg, wir brachten die verschiedensten sozialen Anliegen durch, die heute Allgemeingut sind, von der Genderfrage bis zur Umwelt…
… oder zu jenem Bereich, wo du heute speziell aktiv bist, bei den Rechten von Minderheiten in der Schweiz wie den Jenischen.
Ja, die Aktion «Kinder der Landstrasse» wurde 1972 von jenischen Aktivistinnen und Aktivisten mit 68er-Geist aufgedeckt, nachdem den Jenischen von der Pro Juventute 46 Jahre lang die Kinder entrissen und fremdplatziert wurden.
Begann damit nicht auch ein Emanzipationsprozess für die Jenischen?
Ja klar, im Laufe dieses Aufbruchs haben sie eine kollektive Identität entwickelt. Früher waren sie «die Kinder der Landstrasse», also die Opfer, dann die «Fahrenden», auch wenn sie nicht fuhren – jetzt sind sie die «Jenischen» und «Sinti», wie sie sich selber bezeichnen. Sie sind nun auch als nationale Minderheit anerkannt. Das ist europaweit einmalig!
Dieses Engagement für Minderheiten wie den Jenischen hat ja wohl auch mit dem Inhalt deiner Bücher zu tun. Du bist Autor von über einem Dutzend Büchern, meistens Biografien. Bei den portraitierten Personen handelt es sich oft um Personen, die «äm Tüüfel vom Charre gheit sind»: Tino der Rockerkönig der Sechzigerjahre, die Bankräuber Deubelbeiss & Co. der Fünfzigerjahre, Lady Shiva, Prostituierte in den Siebzigern, aber auch Lydia Escher, Tochter des Eisenbahnkönigs Alfred.
Ich habe, vor allem im Rahmen meines Brotjobs bei der NZZ am Sonntag, Nachrufe geschrieben, und zwar von ganz normalen Leuten, die oft gebrochene Biografien hatten. Mich interessierten immer schon Menschen am Rand, Lebensläufe, die nicht in den vorbestimmten Bahnen verliefen. Solche Menschen faszinieren mich – nicht aus Altruismus, sondern weil man von der Randposition aus Mechanismen und Normen, die uns selber prägen, besser versteht.
Und was würdest du mit der AL bewirken wollen?
Ich verstehe mich als Quartierindianer, war auch acht Jahre in der «Kulturintendanz» der Genossenschaft Kalkbreite tätig. Darum will ich beitragen, dass die Quartiere in den Kreisen 4, 3 und 5 urban bleiben, sozial, mit Nischen, mit Menschen verschiedener Einkommensstufen. Und ich will als Historiker, dass die Geschichte nicht ganz aus dem Alltag verschwindet: Ich bin verbunden mit der Hellmutstrasse bei der Bäckeranlage: Da möchte ich weiterhin spüren, dass das einmal eine jenische Strasse war.
Aus: AL-Info 17/04