Normalerweise verzeichnen A-Abstimmungen – Ausländer, Atomkraftwerke, AHV – eine deutlich höhere Stimmbeteiligung. Bis zum letzten Freitag hatten in der Stadt Zürich jedoch erst 19.9% brieflich abgestimmt. Die eher tiefe Beteiligung ist wohl weniger ein Anzeichen von Gleichgültigkeit als ein Signal für Verunsicherung.
Dieser Blog ist ein Appell an alle, die zögern und unschlüssig sind, unbedingt stimmen zu gehen und ein JA einzulegen.
Rentenreform: ein Kompromiss
Die Rentenreform ist klar eine Kompromissvorlage. Neben vielen Detailverbesserungen und -verschlechterungen enthält sie vier Kernelemente:
- Reduktion des Umwandlungssatzes bei der 2. Säule von 6.8% auf 6.0% mit entsprechender Rentenkürzung, teilweise kompensiert für die Übergangsgeneration ab 45 Jahren;
- Erhöhung des Frauenrentenalters von 64 auf 65 Jahre;
- finanzielle Absicherung der AHV durch zusätzliche 0.6 Mehrwertsteuer- und 0.3 Lohn-Prozente;
- Teil-Kompensation der Verluste bei der 2. Säule durch eine lineare Erhöhung der AHV für Neurentner um 840 Franken pro Jahr für Alleinstehende und maximal 2 712 Franken für Ehepaare.
Für die Linke und speziell für die Frauen fällt die Antwort nicht einfach. Punkte 1 und 2 sind klar eine Verschlechterung, 3 und 4 dagegen ebenso klar eine Verbesserung. Bei der Parolenfassung hat die AL die Verbesserungsschritte bei der AHV höher gewichtet und sich mit deutlichem Mehr für die Ja-Parole entschieden.
Die AHV ist solidarisch und effizient…
Aus linker Sicht ist klar: zentrales Instrument für die Absicherung im Alter ist die AHV. Dank der unbeschränkten Beitragspflicht garantiert sie eine solidarische Finanzierung und eine wirkungsvolle Umverteilung von oben nach unten: Auch Grossverdiener und Abzocker in den Chefetagen mit Millionensalären müssen auf ihren Boni und Extras in vollem Umfang AHV-Beiträge entrichten, erhalten aber bloss eine plafonierte Maximalrente von höchstens 2 350 respektive 3 525 Franken.
Das von der AHV praktizierte Umlageverfahren ist kostengünstig und effizient. Obwohl die Beitragssätze unverändert geblieben sind, sind die AHV-Renten seit 1975 um 135 Prozent gestiegen. Einzig ab 1999 musste ein zusätzliches Mehrwertsteuerprozent zur Mitfinanzierung erhoben werden.
…und wird mit der Reform gestärkt
In den nächsten Jahren geht die Nachkriegsgeneration der Babyboomer in Rente. Das löst bei der AHV einen erhöhten Finanzbedarf aus. Mit den zusätzlichen Mehrwertsteuer- und Lohn-Promillen wird er bis 2030 abgedeckt. Dazu kommt: die Rentenreform sichert nicht nur die Finanzierung der AHV, sondern bringt erstmals seit 1975 auch eine reale Leistungsverbesserung.
Erfahrung zeigt: ohne Kompromiss kein AHV-Ausbau
Die linken Reformgegner, vor allem unsere Genossinnen und Genossen aus der welschen Schweiz, kritisieren zurecht das höhere Rentenalter für die Frauen. Doch erinnern wir uns: Auch die letzte erfolgreiche Reform, die 10. AHV-Revision von 1995, enthielt wichtige materielle Verbesserungen, zugleich aber auch eine Erhöhung des Frauen-Rentenalters, damals um zwei Jahre. Seither sind alle – positiven wie negativen – Reformvorschläge an der Urne oder bereits im Parlament gescheitert. Ausbauvorschläge der AHV von links haben es nur in einem Fall deutlich über 40 Prozent geschafft und sind jeweils klar am Volks- und vor allem am Ständemehr gescheitert. Der vpod hat dazu eine eindrückliche Chronologie zusammengestellt, die alle Reformskeptiker*innen lesen sollten. Am 24. September bekommen wir eine Chance für einen bescheidenen AHV-Ausbau und die sollten wir packen!
Kritik an 2. Säule reicht nicht für ein Nein
Die zweite ebenso berechtigte Kritik von links gilt der 2. Säule und dem vorgesehenen Leistungsabbau. Ohne Zweifel ist diese eine spekulative Fehlkonstruktion. Sie beschert vor allem Versicherungskonzernen, ihren Anlagestiftungen und zahlreichen Vermögensverwaltern Profite, die in einem Sozialversicherungssystem keinen Platz haben sollten. Im Gegensatz zur AHV hat sie mit der massiven Senkung der Zinsgutschriften ab 2002 den Versicherten nur Verschlechterung um Verschlechterung beschert.
Aber reicht das für ein Nein am 24. September? Die linken Rentenreformgegner wollen mit ihrem Nein ein Signal für die Redimensionierung der 2. Säule und ihre Überführung in die AHV setzen. Sie irren gründlich. Das angedachte Initiativprojekt für eine Fusion von AHV und 2. Säule würde grandios scheitern. Die Zahl der Menschen in der Schweiz, die am Tropf der 2. Säule hängen, ist viel zu gross, um ein sozialpolitisches vabanque-Spiel mit linken Wunschforderungen zu lancieren.
Deutungshoheit beim Nein liegt bei der Rechten
Selbst wenn man/frau zu einer negativen Gesamtbeurteilung der Rentenvorlage kommen sollte, stellt sich immer noch die Frage: cui bono – wer profitiert von einem Nein? Eine nüchterne Analyse zeigt: bei einem Nein wird nicht der Linken, sondern klar den bürgerlichen Gegnern die Deutungshoheit zufallen.
Mit seiner Initiative «AHVplus» für eine 10-prozentige Erhöhung der AHV hat der Gewerkschaftsbund ein mutiges Zeichen gegen die sozialpolitische Resignation gesetzt, ist aber vor einem Jahr mit 40.6% in der Volksabstimmung gescheitert. Wenn jetzt das Nein durchkommt, wird die Rechte triumphal verkünden können, das Volk habe sich bereits zum zweiten Mal innert kurzem gegen einen Leistungsausbau bei der AHV ausgesprochen.
Bürgerlicher Plan B: Rentenalter 67
Die bürgerlichen Gegner der Rentenreform haben nur ein Ziel: die AHV auszuhungern und die Altersvorsorge in die Hände des Kapitals zu legen. Ihr Plan B ist klar: höhere Lohnabzüge für die 2. Säule, Rentenalter 67 für alle, null Leistungsverbesserung bei der AHV und höchstens ein paar Brösmeli für die AHV-Finanzierung.
Darum gibt es am 24. September nur eins: mit einem JA die AHV stärken!
Blog als PDF Chronologie der gescheiterten Rentenreformen seit 1995