Am letzten Freitag hat der Stadtrat von Zürich die Reissleine gezogen: Dem schwatzhaften Kollegen Leutenegger verpasste er einen Maulkorb, dem freigestellten ERZ-Direktor Urs Pauli hat er fristlos gekündigt und bei Herrn Poledna hat er eine externe Untersuchung in Auftrag gegeben, die so breit aufgestellt ist, wie man sich das nur wünschen kann. Dumm ist nur, dass der Auftraggeber neben den Dienstabteilungs-Internas auch noch seine eigene aktuelle und vergangene Rolle im Skandal mituntersuchen lassen will. Das ist nicht nur wenig erfolgversprechend, sondern zeigt exemplarisch, wie wenig der Stadtrat von der Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung hält.
Während der Stadtrat nun sanft am Fallschirm seiner Entscheidungen dem harten Erdboden der politischen Aufarbeitung des Skandals entgegen schwebt, nehmen wir uns die Zeit für einen kurzen Rückblick.
Und täglich grüsst der Einzelfall
Im Sommer 2015 verschickt ein anonymer Informant Hinweise auf schwerwiegende Unregelmässigkeiten im ERZ. Zeitgleich listet eine Untersuchung der Finanzkontrolle deftige Tatbestände auf: Kreditüberschreitung, Aktenvernichtung, bewusste Falschbuchungen und Vergabefilz sind die Themen. Departementsvorsteher Leutenegger gibt eine Administrativuntersuchung in Auftrag, deren Ergebnis ein Dreivierteljahr später in einer lendenlahmen Ermahnung des Direktors, einem überschwänglichen Lob der ERZ-Errungenschaften und einer Weisswaschung der politischen Führung endet. Der Bericht selbst bleibt unter Verschluss und die gemeinderätliche Stadtratsentourage mimt mit Ausnahme der AL Erleichterung.
Im Oktober 2016 wendet sich erneut ein Informant an die politische Öffentlichkeit und weist auf Missstände in den Werkstattbetrieben und auf Führungsversagen hin. Zusätzlich entdeckt die Finanzkontrolle über 40 fehlende Kreditabrechnungen. Der Stadtrat rüffelt das ERZ scharf, führt aber den entsprechenden Stadtratsbeschluss nicht in der Mittwochsmedienmitteilung auf. Parallel zwingt der Stadtrat den Gebührenraubritter Pauli, die Verbuchungspraxis für Kanalsanierungen vom Unterhalt auf Investition zu ändern, was nochmals 34 Millionen Franken in die Spezialreserve des ERZ spült. Auch hierüber informiert der Stadtrat die Öffentlichkeit nicht.
Stadtrat Leutenegger schaltet in den Panikmodus
Nach Bekanntwerden eines allenfalls widerrechtlich beschafften Dienstwagens, wendet sich Stadtrat Leutenegger kurzzeitig vom seinem Tagesgeschäft wie dem Retten einzelner Bäume oder dem eigenhändigen Ausreissen von Neophyten ab und den Führungsfragen in seinem Departement zu. Er stellt schwere Enttäuschung bei sich selbst über den renitenten Pauli fest, stellt diesen frei und verkauft dessen Dienstwagen. Kaum ist der oberste ERZ-Chef weg, tanzen die Mäuse und singen ein Lied von weiteren Ungereimtheiten im Hause: Schwarze Kassen, Erholungsoasen, Probleme mit dem Tochterbetrieb Bossard AG und mit weiteren Beteiligungen sowie der exklusive Wohnort des Ex-Direktors werden in wirrem Kunterbunt in den Medien breitgetreten. Leuteneggers Medienstelle befeuert den Medienzirkus unter dem Titel der Transparenz laufend mit neuen Enthüllungen, bis der Gesamtstadtrat am letzten Freitag eingreift.
So geht es nicht!
Der Gemeinderat hat die Aufsichtsfunktion über die Verwaltung. Darum leisten wir uns eine GPK und eine RPK als ständige Kommissionen, deshalb beschreiben Gemeindeordnung und Geschäftsordnung ausführlich das Instrument der parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK). Der Stadtrat ist schlecht beraten, dieses Instrument durch eine Schnellschuss-Vergabe einer eigenen Untersuchung zu konterkarieren. Der Gemeinderat darf sich seinerseits durch diese Stadtratsuntersuchung in seiner Entscheidung nicht beeinflussen lassen. Tut er das, macht er sich bei allen zukünftigen PUK-Diskussionen erpressbar.
Zudem muss sich der Departementsvorsteher im TED auf seine Führungsfunktion zurückbesinnen und im ERZ die aktuell nötigen und dringenden Beschlüsse aufgleisen. Den Stellvertreter zum interimistischen Chef zu machen und eine Ausschreibung des Direktorpostens anzukündigen, ist ungenügend und birgt die Gefahr, dass zukünftige Untersuchungen nicht mehr viel Material zum Untersuchen vorfinden werden. Es gibt keinen Skandal Pauli, es gibt einen Skandal ERZ und einen der langjährig vernachlässigten Aufsichtspflicht des Stadtrates.
Andreas Kirstein, Fraktionspräsident AL