Gestern war gleich doppelt Märlistunde. Erst trat um 11 Uhr – Renzi lässt grüssen – der Rottatore Filippo Leutenegger vor die Medien und erzählte das ergreifende Märli vom braven Chorknaben, der dummerweise den Messwein geklaut hat. Mit ERZ-Direktor Urs Pauli hatte er den absoluten Vorzeige-Kadermann, von dem ein FDP-Stadtrat nur träumen konnte: ein Macher, zupackend, energisch und – wie es schien – auch kompetent. An kleineren Tolggen im Reinheft fehlte es zwar nicht: 14.7 Millionen Franken Kostenüberschreitung beim Bau des Logistikzentrums, reihenweise Kreditbewilligungen an den zuständigen Instanzen vorbei, Verschleierungsbuchungen auf Unterhaltskonti, 132 wundersam verschwundene Rechnungen, Auftragsvergaben nach dem Amigo-Prinzip. So was steckte Filippo noch letzten Oktober locker als «inakzeptable Nachlässigkeit» weg. Dann aber entdeckte der gewiefte Rechercheur die Sache mit dem eigenmächtigen Kauf eines BMW 550d auf Staatskosten. Damit fand der Honeymoon mit dem ERZ-Strahlemann abrupt ein Ende. Des Applauses der Stammtische von Altstetten bis Schwamendingen gewiss, schlüpfte Leutenegger flugs in die Vespafahrermontur, um dem gierigen und geschwindigkeitsgeilen PS-Bonzen im ERZ zu zeigen, wo Filippo den Most holt.
Um 14 Uhr ging dann der Vorhang auf für die zweite Märlistunde. Urs Pauli freute sich, dass alle da waren, und erzählte das ergreifende Märli vom Macher, der das konkursite ERZ aus dem Schuldensumpf rettete. Die kleinkarierte Kritik am Kauf dieses 381-PS-Boliden gehe völlig an betriebswirtschaftlichen Überlegungen vorbei. Als nachhaltig denkender Unternehmer habe er ein Gefährt erworben, von dem gewiss war, dass es 12 Jahre bis zu seiner Pensionierung halten werde. Echt solide und bodenständig dieser Mann! Und dann hat er auch noch den Listenpreis von 127’000 auf exakt 106’544 Franken heruntergehandelt. Damit hat er seine unternehmerische Kompetenz bewiesen und dem gebeutelten Gebührenzahler kostbare Fränkli erspart. Als CEO fahre er schliesslich «jedes Jahr 35’000 Kilometer in dieser Stadt herum», erklärt er der NZZ im Interview. Der geneigte Leser greift zum Taschenrechner und stellt verblüfft fest: das sind stolze 145 km pro Arbeitstag, und das allein in unserer Stadt. Beim innerorts erlaubten Tempo 50 – wir vergessen die zahlreichen Tempo-30-Zonen und die Stauphasen zur rushhour – sind das locker drei Stunden pro Tag. Ein Manager, der dynamisch unterwegs ist statt den Tag mit Rumhocken an Sitzungen zu verplempern!
Und überhaupt: was ist ein vielleicht nicht ganz regelkonform beschaffter Dienst-BMW gegen die Rettung eines maroden Staatsbetriebs? Als er 1997 als Controller bei der Stadtentwässerung startete, sei ERZ mit 390 Millionen im Minus gewesen, jetzt wo er gehen muss, mit gleichviel im Plus. Das Publikum und auch das Gros der recherchierfaulen Journalisten verfällt in andächtige Bewunderung: Pauli – der 800-Millionen-Mann!
Das Märli hat allerdings ein paar kleine Schönheitsfehler. Supermann Pauli ist nämlich erst seit 2008 Direktor und da war das ERZ bereits mit 304 Millionen Franken im Plus. Dass diese üppigen Reserven uns Zwangsgebührenzahlern abgepresst worden sind, verschweigt natürlich des Märchenerzählers Höflichkeit. Und die Fernwärme – 1999 mit 217 Millionen Franken Minus das Hauptsorgenkind – musste 2001 bis 2005 von uns Steuerzahlern mit 131 Millionen Franken à-fonds-perdu-Beiträgen vor der Pleite gerettet werden. Seis drum. Schliesslich wissen wir ja vom Bauernstand und neuerdings von der Energiewirtschaft, dass wahrhaftes Unternehmertum sich in der Fähigkeit zum Ergattern von Subventionen beweist.
Der gestrige Märlitag hat uns ratlos zurückgelassen. Manche haben nur Bahnhof verstanden. Ich habe allenorts nur Auto gehört. Das ist für mich als Nichtbesitzer eines Fahrausweises fast das Gleiche wie Bahnhof…