Manuela, bei der Kritik an der Asylpolitik steht meist Abschottung und Ausgrenzung im Zentrum. Seit letztem Jahr sind im Kanton Zürich «Eingrenzungen» das grosse Thema. Worum geht es?
Seit letztem Sommer werden Eingrenzungen im Kanton Zürich fast flächendeckend für abgewiesene Asylbewerber, die in Notunterkünften leben, verfügt. Man verbietet den Leuten, das Gemeinde- oder Bezirksgebiet ihrer Notunterkunft (NUK) zu verlassen. Die betroffene Person muss sich Tag und Nacht dort aufhalten, innerhalb der Grenzen einkaufen und spazieren. Freunde müssen sie dort besuchen kommen. Die Notunterkünfte befinden sich oft an abgelegenen Orten am Rande einer Gemeinde und die Verkehrswege führen so meist über anderes Gemeindegebiet. Als Beispiel: Die NUK Rohr gehört zur Gemeinde Glattbrugg, liegt aber nahe an der Grenze zu Rümlang. Die Gemeinden gehören zusätzlich zu verschiedenen Bezirken. Wer die Glattalbahn benutzen will, betritt anderes Gemeindegebiet und verstösst gegen die Eingrenzung.
Gibt es Kantone mit ähnlicher Praxis?
Meines Wissens gibt es das flächendeckend nur im Kanton Zürich. Regierungsrat Mario Fehr behauptet, dass es nur «kriminelle» Papierlose betrifft. Das widerspricht der Wahrnehmung von mir und anderen freiwilligen Besuchsgruppen und Anwaltskolleginnen.
Was ist das Ziel der Behörden?
Man will die Leute zermürben und sie gesellschaftlich isolieren. Letztlich sollen sie unter diesem Druck die Schweiz zu verlassen. Aus Sicht des Staates ist das in gewissem Sinne verständlich. In einem juristischen Verfahren haben die Behörden entschieden, dass es zumutbar ist, dass die betroffene Person in ihr Heimatland zurückkehrt. Die Gründe, trotzdem nicht zurückzukehren, sind vielfältig.
Wie sieht die Lebensgrundlage einer Person mit abgewiesenem Asylbescheid aus?
Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung haben keinen Anspruch auf Sozialhilfe, aber auf Nothilfe. Diese ist durch die Bundesverfassung garantiert. Der Kanton weist den Personen eine Unterkunft zu und regelt die Gesundheitsvorsorge. Zudem gibt es für Essen, Kleider etc. einen Betrag von 8.50 Franken pro Tag.
Das behördliche Vorgehen in diesem Bereich wurde sukzessiv strenger. Seit vergangenem Herbst müssen sich die Leute zweimal täglich melden, um die Nothilfe zu erhalten. Diese Praxis verunmöglicht ein soziales Leben praktisch ganz. Die Leute sind an ihre NUK gebunden. Sie können viele Angebote von solidarischen Organisationen nicht mehr wahrnehmen. Deutschkurse, Kirchen- oder Moscheebesuche werden verunmöglicht. Der Glaube – das war für mich als Atheistin bei der Beratung von Asylsuchenden früher überraschend – ist für viele Menschen in solchen Situationen ein ganz wichtiger Halt.
Was sind die Folgen?
Die Leute sind tatsächlich isoliert. Verschiedene solidarische Organisationen stellen fest, dass die Leute ihre Angebote schlichtweg nicht mehr nutzen können. Beim Solinetz etwa vermissen die Leute ihre Mitschüler.
Ein breites Bündnis von Organisationen setzt sich für die abgewiesenen AsylbewerberInnen ein. Wie verläuft die Zusammenarbeit?
Sie ist hervorragend, etwas vom Schönsten, was ich in den letzten Jahren innerhalb der Linken erlebt habe. Die Organisationen arbeiten zielorientiert und nicht ideologisch. Es wird nach den Bedürfnissen der Betroffenen gefragt und nicht über sie hinweg entschieden. Ich empfinde dieses Engagement als militant – aber in der Praxis, nicht im Wort.
Die Eingrenzungen waren eine sehr plötzlich auftretende Herausforderung.
Ja, und die Leute haben schnell und richtig darauf reagiert. Es wurden Besuchsgruppen gebildet, welche die Notunterkünfte aufsuchten. Wir haben Musterbeschwerden geschrieben, Anwälte vermittelt und vieles mehr.
Wie sieht die Organisation konkret aus?
Bei grossen Sitzungen kommen schon mal 50 Personen zusammen, es gibt Inseln, auf welche auf Arabisch, Englisch oder andere Sprachen übersetzt wird. Ich habe noch selten so erlebt, dass in linken Kreisen so breit und differenziert diskutiert wurde. Oft wird von verschiedenen Gruppen versucht, politisch Profit aus ihrem Engagement zu schlagen und es setzen sich die «Hardliner» durch. Das ist hier komplett anders. Es wird auch mal auf eine Demo oder eine öffentliche Kampagne verzichtet, wenn ein anderer Weg zielführender scheint. Mit dem pragmatischen Vorgehen wurden auch kreative Aktionsformen gefunden. So wurde beispielsweise eine Petition gegen Eingrenzungen an Mario Fehr übergeben und dabei eine Live-Schaltung zu Betroffenen organisiert.
Asylpolitik ist immer repressiv. Wie soll sich der Kanton Zürich innerhalb der geltenden Gesetze verhalten? Gibt es eine «humane» Asylpolitik bezüglich abgewiesener AsylbewerberInnen überhaupt?
Der Kanton Genf macht eine grosse Regularisierungsaktion, das sollte Zürich auch in Betracht ziehen. Zudem hat der Kanton einen gewissen Handlungsspielraum, etwa bei der Auslegung der Härtefallregelung. Diesen nutzt er leider nicht im Sinne einer «humaneren» Asylpolitik – im Gegenteil.
Interview: Markus Gafner
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