«Beggar-thy-Neighbour»-Politik der Schweiz unter Beschuss
Während Jahrzehnten war die Schweiz einer der grossen Player der globalen Steuervermeidungsunkultur. Unser Land und ganz besonders einige Kantone, die sich gezielt darauf spezialisiert haben, haben multinationalen Konzernen mit Holdings, Briefkastenfirmen und gemischten Gesellschaften Nischen aller Art angeboten, in denen sie ihre weltweiten Profite weitgehend steuerfrei bunkern konnten. Sie hat damit im Steuerbereich eine Art «Beggar-thy-Neighbour»-Politik betrieben und dafür in den letzten Jahren die Quittung erhalten. Mit dem Kampf von OECD und EU gegen schädliche Steuerpraktiken und dem OECD/G20-Projekt gegen Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (BEPS, Base Erosion and Profit Shifting) haben die schweizerischen Statusgesellschaften definitiv ihr Verfallsdatum erreicht.
Entwicklungsländer als Hauptgeschädigte
Laut BEPS-Abschlussbericht von 2015 lassen «Schätzungen darauf schließen, dass die globalen Mindereinnahmen bei der Körperschaftsteuer zwischen 4% und 10% der globalen Körperschaftsteuereinnahmen betragen könnten, d.h. 100-240 Mrd. US-$ jährlich. (…) Die Tochtergesellschaften von multinationalen Unternehmen weisen in Niedrigsteuerländern [wie der Schweiz, N.S.] fast doppelt so hohe Gewinne aus (im Verhältnis zu den Aktiva) wie ihr globaler Konzern, was zeigt, dass Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung zu wirtschaftlichen Verzerrungen führen kann. Schätzungen zufolge sind die Auswirkungen von BEPS auf Entwicklungsländer – gemessen als prozentualer Anteil der Steuereinnahmen – auf Grund der größeren Abhängigkeit der Entwicklungsländer von Körperschaftsteuereinnahmen stärker als in entwickelten Ländern.»
(OECD/G20 Projekt Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, Erläuterung, Abschlussberichte 2015, S. 4)
Die Zeit der Schlaumeier-Tricks ist vorbei
Eine Reform ist unabdingbar. Bei solchen Weichenstellungen hat die Schweiz immer wieder versucht, das Unvermeidliche hinauszuzögern oder mit schlaumeierischen Unterzügen zu unterlaufen. Es ist keine zehn Jahre her, als Bundesrat Merz lautstark erklärte, das Ausland werde sich an unserem Bankgeheimnis noch die Zähne ausbeissen. 2011/12 versuchte die Schweiz, das Steuerhinterziehungsgeheimnis last minute mit dem Angebot einer anonymen Abgeltungssteuer zu retten, doch nur Österreich und Grossbritannien bissen an. Das alles ist Geschichte: Anfang 2017 hat die Schweiz mit Dutzenden von Ländern den Automatischen Informationsaustausch (AIA) über Bankdaten aufgenommen, das Bankgeheimnis gegenüber dem Ausland ist damit passé. Am 12. Februar stehen wir mit der USR III erneut vor einer solchen Weichenstellung.
Frage 1: Ist die USR III politisch-ethisch vertretbar?
In politisch-ethischer Hinsicht stellt sich die Frage, ob wir reinen Tisch machen und unhaltbare Steuerprivilegien beseitigen wollen, um uns als Teil der internationalen Gemeinschaft für gerechtere Steuerverhältnisse einzusetzen, nicht zuletzt zugunsten der Entwicklungsländer, die am meisten von Gewinnverschiebungen geschädigt werden. Ob wir uns in der Schweiz und global gegen soziale Ungleichheit engagieren wollen. Oder ob wir zwar die Statusgesellschaften formell abschaffen, aber gleichzeitig die alten Privilegien durch neue ersetzen und damit die alte «Beggar-thy-Neighbour»-Politik in neuer Verpackung fortsetzen wollen. Mit ihrem Werkzeugkasten für eine Reihe neuer Steuersparkonstrukte hat sich die bürgerliche Mehrheit klar für das zweite Vorgehen entschieden. Und aus der notwendigen Reform ein Instrument der Umverteilung zulasten der breiten Bevölkerung gemacht.
Frage 2: Ist die USR III nachhaltig und international zukunftsfähig?
Jenseits der ethischen Frage müssen wir uns aber auch fragen, ob das gewählte Vorgehen in praktischer Hinsicht erfolgversprechend und nachhaltig ist. Die USR III setzt auf massive Steuersenkungen, in der Hoffnung, die Milliardenlöcher bei den Steuern könnten wie in der Vergangenheit durch Neuansiedlungen und Gewinntransfers von ausländischen Multis innert Kürze wieder gefüllt werden. Bei der Unternehmenssteuerreform I von 1998 hat dieses Modell noch funktioniert. Doch der Glaube an den unbegrenzten Zufluss neuer Gewinne aus dem Ausland könnte sich als fata morgana erweisen, denn seit 1998 haben sich die Verhältnisse entscheidend geändert:
- Gestützt auf BEPS (Aktion 13) ist das Länder-Reporting auf dem Vormarsch, in der EU sollen multinationale Firmen mit mehr als 750 Mio Euro Weltumsatz verpflichtet werden, ihre Gewinne und Steuerzahlungen länderweise offenzulegen. Damit werden die bisherigen Möglichkeiten für Gewinnverschiebungen erheblich eingeschränkt.
- Die OECD hat im Rahmen von BEPS permanent ein scharfes Auge auf alle möglichen neuen Abzugstricks. Mit der USR III setzt die Schweiz auf Konstrukte, deren internationale Halbwertszeit mehr als offen ist. Praktiken, die heute bei ihrer Einführung noch als zulässig erscheinen, können morgen schon aufgrund praktischer Erfahrungen auf der schwarzen Liste landen. Jedes neue Steuerschlupfloch beflügelt bekanntlich die Kreativität der Steuerberaterzunft…
- Dass man mit der Patentbox hart am Wind segelt, ist dem Bundesrat sehr wohl bewusst. So schreibt er etwa in der Botschaft: «Die schweizerische Patentbox soll auf kantonaler Ebene obligatorisch eingeführt werden. Die Beschränkung auf die kantonale Ebene führt dazu, (…) dass die Steuerbelastung auf den Stufen Bund, Kanton und Gemeinde kumuliert mindestens ca. 10 % beträgt, was aus Sicht der internationalen Akzeptanz eine angemessene Steuerbelastung sicherstellt.» (S. 5098) Ganz nach der Devise: der Bund besteuert alles voll und mimt international den weissen Ritter, die dirty tricks werden den Kantonen überlassen…
- Last but not least: Der neue US-Präsident Trump kann die Hoffnung auf den Zustrom neuer US-Firmen und ihrer Gewinne mit einem Federstrich zunichtemachen. Wegen der hohen US-Unternehmenssteuern von 35% horten US-Konzerne Hunderte von Milliarden an Gewinnen weitgehend unversteuert ausserhalb der USA. Trump hat es in der Hand, ihnen – wie im Wahlkampf angedeutet – ein grosszügiges Rückführungsangebot mit attraktiven Steuersätzen von 10 – 15 % zu machen. Er kann aber auch die Gewinnsteuersätze dauerhaft senken.
Bei einem NEIN bleibt vorerst alles beim Alten
Die Befürworter der USR III malen wieder einmal den Teufel an die Wand. Das Abwanderungsrisiko wird masslos übertrieben. Ja, es stimmt: die heute steuerprivilegierten 24’000 Statusgesellschaften beschäftigen 150’000 Menschen. Nein, es stimmt überhaupt nicht, dass alle diese Firmen innert Kürze abwandern und alle Arbeitsplätze verschwinden, wenn wir am 12. Februar NEIN sagen. Bei einem NEIN – und das muss immer wieder betont werden – bleibt zunächst einmal alles beim Alten. Bundesrat und Parlament erhalten schlicht den Auftrag, eine ausgewogenere Vorlage zu erarbeiten.
Irreale Abwanderungspanik der economiesuisse
Zu der von economiesuisse entfachten Abwanderungspanik: Unter dem Dachbegriff der Statusgesellschaften versammelt sich eine breite Palette von Firmen. Darunter sind viele alteingesessene und hier verankerte Firmen wie die meisten Schwergewichte aus dem Swiss Market Index (SMI) der Schweizer Börse. In Basel etwa Novartis (gemischte Gesellschaft) und Roche (Holding): Novartis hat in den letzten Jahren in Grossbasel-West einen riesigen Firmen-Campus aufgebaut, Roche baut seinen zweiten Büroturm. In Zürich erneuern und erweitern Swiss Re und Zurich Insurance (beides Holdings) zurzeit ihre Hauptsitze. Die Beispiele liessen sich beliebig verlängern. Dass diese grossen Publikumsgesellschaften rein aus Steuergründen ihre Zelte in der Schweiz abbrechen würden, glaubt ja wohl niemand im Ernst. Ganz abgesehen davon, dass es für eine Sitzverlegung gemäss Obligationenrecht an der GV zwingend eine Zweidrittelsmehrheit braucht.
BAK Taxation Index: Firmensteuern 2015 (Schweizer Kantone rot markiert; auf Grafik klicken, um sie grösser anzuzeigen)
Das «Paket Schweiz» ist als Ganzes attraktiv
Auch das kann man nicht genug betonen: Selbst Kantone wie Zürich, die aus interkantonaler Sicht als «Hochsteuer»-Kantone gelten, sind international hoch kompetitiv. Der BAK Taxation Index, der neben den nominellen Steuersätzen alle Elemente der Gewinnsteuerberechnung mit einbezieht und damit ein realistisches Bild vermittelt, zeigt es klar: nur gerade Hongkong, Dublin und Singapur können mit den Schweizer Kantonen (in der Grafik rot markiert) bei der Steuergunst für Firmen mithalten, und das wohlgemerkt zu den heutigen Steuersätzen! Und auch interkantonal gilt: obwohl Zürich aktuell mit 21.2% einen anderthalb Mal so hohen Firmensteuersatz hat wie Zug (14.6%) ist es nicht zu einer Massenemigration der grossen Finanzinstitute nach Zug gekommen. Statt sich mit der USR III in einen selbstzerstörerischen race-to-the-bottom-Steuerwettbewerb zu stürzen, sollte sich die Schweiz darauf besinnen, dass sie neben ihren jetzt schon sehr konkurrenzfähigen Steuern wichtige Trümpfe ausspielen kann: eine hervorragende Infrastruktur, ein gutes Bildungssystem und Rechtssicherheit.
Die Lemminge – ein untaugliches Vorbild
Die Lemminge, eine Art Wühlmäuse, sind bekannt für ihre massenhaften Wanderungen, die sie aufgrund des periodisch auftretenden Populationsdrucks unternehmen. Aus diesen Wanderungen und den ebenfalls beobachteten heftigen Schwankungen in der Populationsdichte wurde die –unzutreffende – Theorie des „Massenselbstmords“ abgeleitet, die auch vom Disney-Film «Weisse Wildnis» kolportiert worden ist. Wahr ist jedoch, dass viele Tiere diese Wanderungen auf der Suche nach neuen Lebensräumen nicht überleben. Auf einen solchen potenziell tödlichen Überlebenskampf sollten wir uns weder interkantonal noch global einlassen.
Darum gibt es nur eins: ein entschiedenes NEIN am 12. Februar.
(Fortsetzung folgt)
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