
Viele fragen sich: Kann mein NEIN etwas ändern? Nachdem der US-Politologe Francis Fukuyama zu Beginn der 1990er-Jahre das «Ende der Geschichte» verkündet hatte, verbreiteten neoliberale Think-Tanks und ihre medialen Wasserträger eifrig die TINA-These: there is no alternative – es gibt keine Alternative. Auch die Befürworter aus economiesuisse und Gewerbeverband versuchen uns die jetzige USR-III-Vorlage als alternativlos zu verkaufen. Doch TINA ist ein Begriff aus dem Wörterbuch des Unmenschen: Alternativen sind und müssen immer möglich sein, sie sind das Salz der Demokratie.
Bundesrat muss Neuauflage bringen
Nach einem NEIN am 12. Februar müssen Bundesrat und Parlament eine neue Vorlage bringen. Die jetzige Vorlage ist klar überladen. Sachlogisch wäre eigentlich eine Reform, die einzig die von OECD und EU nicht mehr akzeptierten kantonalen Statusgesellschaften abschafft. Diese Meinung hat kürzlich auch Bernard Dafflon, emeritierter Steuerrechtler der Uni Fribourg, in einem Interview vertreten: «Zuerst über die Abschaffung der Steuerprivilegien abzustimmen, dann zu beobachten, was geschieht und, falls nötig, mit neuen Wettbewerbsmassnahmen zu reagieren, falls Firmen abwandern.» (NZZ am Sonntag, 29. Januar 2017)
USR-III-Reform nicht in Stein gemeisselt
Natürlich weiss auch ich, dass eine solche Finanzpolitik der ruhigen Hand, wie sie Dafflon vorschwebt, derzeit nicht mehrheitsfähig ist. Es muss also ein neuer realpolitischer Kompromiss gefunden werden. Von den aktuellen Drohgebärden der Befürworter sollten wir uns dabei nicht ins Bockshorn jagen lassen. Die Vorgeschichte der USR-III-Vorlage zeigt, dass hier keineswegs alles in Stein gemeisselt ist:
- Die zinsbereinigte Gewinnsteuer ist in der Vernehmlassung von den Kantonen mehrheitlich abgelehnt und vom Bundesrat nicht beantragt worden;
- den 150%-Abzug für Forschung und Entwicklung wollte der Bundesrat aus Kostengründen ursprünglich nicht, hat den Antrag – offenbar auf Druck der Basler Pharma – dann aber doch übernommen;
- die teilweise Aufhebung der 2008 mit der USR II eingeführten reduzierten Besteuerung von Dividenden in Bund und Kantonen wurde in der Vernehmlassung von 21 Kantonen befürwortet, 10 davon sprachen sich sogar für eine Erhöhung der Teilbesteuerung von 50 auf 80 Prozent aus.
F&E-Abzug und zinsbereinigte Gewinnsteuer müssen weg
Nach einem NEIN sind folgende Korrekturen angezeigt:
- Patentbox: engere Begriffsumschreibung, deutlich geringerer Reduktionssatz als die jetzigen 90 Prozent sowie Verpflichtung, die eingesparten Mittel in eine zweckgebundene Rückstellung für Forschung und Entwicklung einzulegen (wie es Professor Dafflon vorschlägt);
- Streichung des 150%-Abzugs für Forschung und Entwicklung: ein solcher Abzug hat neben der Patentbox keinen Platz (und wird übrigens ausgerechnet von der Basler Regierung für die lokale Pharmaindustrie gar nicht beansprucht);
- Streichung der zinsbereinigten Gewinnsteuer, um eine kostenträchtige Reise ins Unbekannte zu vermeiden.
Keine Neuauflage ohne substanzielle Gegenfinanzierung
Unabdingbar bei einer Neuauflage ist neben dem Verzicht auf einzelne Instrumente aus dem «Werkzeugkasten» eine substanzielle Gegenfinanzierung. Konsequent wäre die überfällige Einführung einer Kapitalgewinnsteuer, wie sie alle europäischen Länder kennen und wie sie ursprünglich auch der Bundesrat vorgeschlagen hatte. Sie würde in Bund und Kantonen rund 1 Milliarde Franken Einnahmen einspielen. Dass ein solcher Vorschlag realpolitisch kaum Chancen hat, ist auch mir bewusst.
Korrekturen bei Dividendenrabatt und Kapitaleinlagen
Zur Gegenfinanzierung müssen unbedingt frühere Massnahmen aus den USR I und USR II korrigiert werden:
- Steuerbefreiung von Kapitalgewinnen beim Verkauf von wesentlichen Beteiligungen (Mindestanteil von 10 Prozent): diese 1998 mit der USR I eingeführte Erweiterung des Beteiligungsabzugs muss dringend weg. Beispiele wie der Fall Nestlé/Alcon (vgl. USR-Bschiss Nr. 3) zeigen, dass diese totale Nichtbesteuerung massive Wettbewerbsverzerrungen bewirkt. Sie dürfte künftig auch von der OECD nicht mehr geschluckt werden;
- Steuerrabatte auf Dividendenzahlungen: im Rahmen der USR II haben Bund und Kantone 2008 bei grösseren Beteiligungen eine reduzierte Besteuerung von Gewinnausschüttungen (Bund: 60 Prozent, Kantone: in der Regel 50 Prozent) eingeführt. Diese Teilbesteuerung muss abgeschafft oder zumindest auf 80 Prozent erhöht werden. Bei einer vollständigen Abschaffung kämen bei Bund und Kantonen 1.1 – 1.2 Milliarden, bei einer Erhöhung auf 80 Prozent 600 – 700 Millionen CHF zusammen;
- Steuerfreie Ausschüttung von Kapitaleinlagen: mit der USR II wurde 2008 die Möglichkeit geschaffen, statt erarbeitete Gewinne als steuerbare Dividenden auszuschütten den gleichen Betrag aus Aufgeldern (Agios) von früheren Aktienkapitalerhöhungen (sog. Kapitaleinlagereserven) steuerfrei «zurückzubezahlen». Seit 2011 sind Bund und Kantonen damit jährlich gut 1 Milliarde CHF Steuern entgangen (vgl. USR-III-Bschiss Nr. 4, Teil 1). Hier muss präzisiert werden, dass Kapitaleinlagen erst steuerfrei zurückerstattet werden dürfen, wenn zuvor alle nach OR auszahlbaren Gewinnreserven einschliesslich des Jahresgewinns ausgeschüttet worden sind (eine entsprechende Motion von Susanne Leutenegger Oberholzer hat der Nationalrat im Dezember 2011 nur hauchdünn mit 94 zu 91 Stimmen abgelehnt). Damit kann unter anderem verhindert werden, dass UBS und Credit Suisse, die während Jahren keine Gewinnsteuern entrichtet haben und über enorme Kapitaleinlagereserven verfügen, in den nächsten 5 – 10 Jahren steuerfreie Dividenden ausschütten.
Widerstand des Gewerbeverbands muss gebrochen werden
Aus diesen Elementen muss nach einem NEIN, auf das ich hoffe, innert nützlicher Frist eine neue USR-III-Vorlage zusammengefügt werden. Natürlich werden sämtliche Interessenvertreter – zuvorderst der Gewerbeverband, der einer Reduktion des Steuerrabatts auf Dividenden erbittert den Kampf angesagt hat – laut aufjaulen und mit einem neuen Referendum – diesmal von rechts – drohen. Aber falls die Linke am 12. Februar gewinnt, werden auch Bigler & Co einsehen müssen, dass die Zeit für steuerpolitische Extrawürste vorbei ist.
Verpasste Initiativchance
Am zielführendsten – dies zum Schluss – wäre aus meiner Sicht gewesen, wenn die Linke frühzeitig die Initiative ergriffen hätte statt jetzt einen Abwehrkampf zu führen. Der heutige SP-Fraktionspräsident Roger Nordmann hat 2013 einen interessanten Vorschlag für eine eidgenössische Volksinitiative zur Regulierung der Unternehmenssteuern gemacht. Danach hätte entweder schweizweit eine Untergrenze für Firmensteuern von mindestens 15.25% netto festgesetzt oder die direkte Bundessteuer von heute netto 7.83% auf 13.8% angehoben werden sollen (wobei der Zusatzertrag den Kantonen zugefallen wäre). Leider wurde dieser Ansatz von der SPS nicht weiterverfolgt.
(Schluss folgt)
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