Untaugliche Prognosen von HSG-Professor Keuschnigg
Im Zentrum der öffentlichen Kontroverse bei der Abstimmung 2008 standen die möglichen Ausfälle wegen der Teilbesteuerung von Dividenden beim Bund (40%-Rabatt bei grösseren Beteiligungen von 10 Prozent des Aktienkapitals). Im Abstimmungsbüchlein bezifferte der Bundesrat die Ausfälle des Bundes verdächtig genau mit «ungefähr 56 Millionen Franken». Zu den Ausfällen in den Kantonen erklärte er: «Maximal könnten die Auswirkungen bei der Teilbesteuerung der Dividenden 350 Millionen Franken und bei der Anrechnung der Gewinne an die Kapitalsteuer 500 Millionen Franken ausmachen.»
Wie sich im Nachhinein zeigt, wurden nicht nur die – im Abstimmungsbüchlein überhaupt nicht erwähnten – Ausfälle wegen der Ausschüttung von Kapitaleinlagereserven krass unterschätzt, sondern auch die Auswirkungen der Teilbesteuerung von Dividenden. Bei seinen Angaben stützte sich der Bundesrat auf eine Expertise von HSG-Professor Christian Keuschnigg, einem erklärten Niedrigsteuer-Lobbyisten für Unternehmen. Mittlerweile liegen für verschiedene Kantone statistische Angaben oder Schätzungen vor.
Aufschlussreiche Zahlen aus dem Kanton Schwyz
Höchst aufschlussreich sind die sehr detaillierten Daten der Steuerverwaltung des Kantons Schwyz. Danach wurden im Durchschnitt der Jahre 2010 – 2013 insgesamt 1’801 Millionen Franken Dividenden pro Jahr deklariert. Davon entfielen 1’106 Millionen Franken oder gut drei Fünftel auf qualifizierte Beteiligungen, die vom 40%-Steuerrabatt beim Bund profitieren. Mit anderen Worten: 440 Millionen Franken Dividendeneinnahmen konnten steuerfrei kassiert werden. Bei einem Grenzsteuersatz von 11% resultiert bei der direkten Bundessteuer allein für den kleinen Kanton Schwyz ein jährlicher Ausfall von 48 Millionen Franken – bei 56 Millionen, die das Abstimmungsbüchlein für die ganze Schweiz prognostizierte… Um diese Zahl einordnen zu können, muss man wissen, dass Schwyz gerade mal knapp 5 Prozent der Bundessteuereinnahmen der natürlichen Personen abliefert. Da Schwyz auf Dividenden bis vor kurzem einen rekordhohen Rabatt von 75 Prozent gewährte, konnten die Kuponschneider auf kantonaler Ebene 825 Millionen jährlich steuerfrei kassieren und bei Steuersätzen von 9 – 10% locker 70 – 80 Millionen Franken Steuern sparen.
50 statt 3 Millionen Franken Ausfälle in Baselstadt
Beispiel Basel-Stadt: Hier drückte eine bürgerliche Mehrheit 2009 im Grossen Rat gegen den Willen der Regierung, die gar keine Entlastung beantragt hatte, einen 50%-Rabatt für Dividenden durch. Ihr Sprecher erklärte vollmundig: «Die zu erwartenden Steuerausfälle von geschätzt 3 Millionen Franken jährlich erscheinen als vertretbar.» In der zurzeit laufenden Vernehmlassung zur kantonalen Umsetzung der USR III beantragt Finanzdirektorin Eva Herzog, Dividenden künftig zu 80% statt zu 50% zu besteuern und rechnet dabei mit Mehreinnahmen von 30 Millionen Franken. Hochgerechnet bedeutet dies, dass dem Kanton Baselstadt mit dem aktuellen Dividenden-Rabatt rund 50 Millionen Franken entgehen.
Bund geht über die Bücher
Mittlerweile ist auch der Bund über die Bücher gegangen. In seiner Botschaft zur USR III beantragte er, den Steuerrabatt auf Dividenden beim Bund von 40% auf 30% zu reduzieren – ein Antrag, der von der rechtsbürgerlichen Mehrheit des Parlaments abgeschmettert wurde. Die möglichen Mehreinnahmen für 10% weniger Dividenden-Rabatt bezifferte er mit 76 Millionen Franken. Hochgerechnet kann man daraus schliessen, dass der heutige 40%-Dividenden-Rabatt beim Bund Mindereinnahmen von rund 300 Millionen Franken bringt – knapp sechsmal soviel, wie 2008 prognostiziert…
Ich könnte diese Zahlenreihe beliebig fortsetzen. Das Fazit ist klar: die seinerzeitigen Prognosen zu den Auswirkungen der USR II waren das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt wurden.
AL-Referendum gegen Zürcher Unternehmenssteuerreform (2012)
Schleichende Auszehrung der Kapitalsteuer in den Kantonen
Trotz ihrer weittragenden Wirkung vergleichsweise wenig Beachtung fand 2008 die Kann-Bestimmung im Steuerharmonisierungsgesetz (StHG), die den Kantonen erlaubte, die Gewinnsteuer an die Kapitalsteuer anzurechnen. Zwar als fakultative Massnahme konzipiert, wurde sie jedoch, wie immer, von praktisch allen Kantonen übernommen. Im Kanton Zürich konnte die vom Kantonsrat beschlossene Übernahme dank einem Referendum der AL und einem von der AL-Fraktion initiierten Stadtzürcher Gemeindereferendum im Juni 2012 verhindert werden. Bereits nach der Abschaffung der Kapitalsteuer auf Bundesebene (1998) hatte in den Kantonen eine starke Erosion eingesetzt. So halbierte etwa der Kanton Zürich 2005 die Kapitalsteuersätze – mit einem Einnahmenausfall für Kanton und Gemeinden von über 170 Millionen Franken. Mit der Verrechnungsmöglichkeit wurde die schleichende Auszehrung der Kapitalsteuer weiter forciert. Seit der USR II stagnieren die Kapitalsteuererträge: Obwohl die deklarierten Kapitalien von 2008 bis 2013 schweizweit um einen Viertel von 1’840 Milliarden auf 2’287 Milliarden Franken zugenommen haben, sind die Erträge bloss von 1’591 auf 1’617 Millionen Franken gestiegen. Damit resultierte 2013 noch eine Belastung von 0.71 Promille gegenüber 2.54 Promille im Jahr 1998.
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