1997/98: EU und OECD machen Druck gegen schädliche Steuerpraktiken
Im Zuge der Globalisierung und der verstärkten Binnenmarktintegration rücken in den 1990er-Jahren Steuerprivilegien und konkrete Steuerdeals, wie sie vor allem die Kleinen – die Benelux-Länder Belgien, Niederlande und Luxemburg, Irland und die Steueroasen unter britischer Kontrolle (Guernsey, Bermuda etc.) – für multinationale Firmen offerieren, in den Fokus der EU-Behörden. Auch und gerade für neoliberale Verfechter eines umfassenden Binnenmarkts sind solche Dumpingangebote ein ordnungspolitisches Ärgernis, weil sie den Wettbewerb verzerren und als verdeckte staatliche Beihilfe taxiert werden. Im Dezember 1997 beschliesst der Rat der EU-Wirtschafts- und Finanzminister (ECOFIN) einen – rechtlich nicht verbindlichen – «Verhaltenskodex» für die Unternehmensbesteuerung und 1999 legt eine Arbeitsgruppe einen umfangreichen Bericht über 66 schädliche Steuerpraktiken innerhalb der EU vor, in dem auch die Schweiz nicht unerwähnt bleibt.
Parallel dazu veröffentlicht die OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development), ein Zusammenschluss der Industrieländer, 1998 den Bericht “Harmful Tax Competition: An Emerging Global Issue”. Im gleichen Jahr ruft die OECD das “Forum on Harmful Tax Practices” (Forum gegen schädliche Steuerpraktiken) ins Leben.
Die Schweiz spielt auf Zeit
An der offiziellen Schweiz scheint all dies spurlos vorbeizugehen. Im Gegenteil: 1997 beschliessen die eidgenössischen Räte die Unternehmenssteuerreform I mit neuen und noch ergiebigeren Steuerschlupflöchern für Multis. Die Schweizer Regierung stellt sich auch taub, als die EU 2007 geltend macht, die Schweiz verletze mit ihren massiven Steuerrabatten auf ausländischen Gewinnen das Freihandelsabkommen von 1972. Man wähnt sich, wie beim Bankgeheimnis, auf der sicheren Seite. Statt offizielle Verhandlungen zu dem offenkundigen Steuerproblem aufzunehmen, beauftragt der Bundesrat im August 2010 das Finanzdepartement mit Sonderungsgesprächen mit der EU-Kommission für die Aufnahme eines allfälligen Dialogs…
Trotz vordergründiger Hinhaltetaktik auf dem diplomatischen Parkett ist dem Bundesrat allerdings schon früh klar, dass die Steuerprivilegien der Statusgesellschaften definitiv ihr Verfallsdatum erreicht haben. Bereits im November 2008, wenige Monate nach der Abstimmung über die unselige USR II, beauftragt er das Finanzdepartement mit der Ausarbeitung einer Vorlage.
Gegen doppelte Nichtbesteuerung: Das BEPS-Projekt von OECD und G20
Mit der Finanzkrise von 2008 und den rasant wachsenden Staatsschulden im Zuge der Rettungsaktionen für notleidende Grossbanken rutscht das Thema des Firmensteuer-Dumpings weiter nach oben auf der politischen Agenda. Im September 2013 billigen die Staats- und Regierungschefs der G20 einen ehrgeizigen und umfassenden Aktionsplan gegen Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (BEPS, Base Erosion and Profit Shifting). Ziel des BEPS-Projekts: Gewinne sollen dort besteuert werden, wo die wirtschaftlichen Aktivitäten stattfinden und die Wertschöpfung erfolgt. Im Zentrum steht das Problem der unterschiedlichen Besteuerung in- und ausländischer Gewinne (das sogenannte «ring fencing») und vor allem soll die doppelte Nichtbesteuerung von Firmengewinnen durch Ausnützung gegenläufiger Regelungen in verschiedenen Ländern unterbunden werden. Im Abschlussbericht von 2015 werden 15 detailliert analysierte Missbrauchstatbestände aufgelistet, die nicht mehr toleriert werden.
Entwicklungsländer als Hauptverlierer
Laut Abschlussbericht lassen «Schätzungen darauf schließen, dass die globalen Mindereinnahmen bei der Körperschaftsteuer zwischen 4% und 10% der globalen Körperschaftsteuereinnahmen betragen könnten, d.h. 100-240 Mrd. US-$ jährlich. (…) Die Tochtergesellschaften von multinationalen Unternehmen weisen in Niedrigsteuerländern [wie der Schweiz, N.S.] fast doppelt so hohe Gewinne aus (im Verhältnis zu den Aktiva) wie ihr globaler Konzern, was zeigt, dass Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung zu wirtschaftlichen Verzerrungen führen kann. Schätzungen zufolge sind die Auswirkungen von BEPS auf Entwicklungsländer – gemessen als prozentualer Anteil der Steuereinnahmen – auf Grund der größeren Abhängigkeit der Entwicklungsländer von Körperschaftsteuereinnahmen stärker als in entwickelten Ländern.»
(OECD/G20 Projekt Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, Erläuterung, Abschlussberichte 2015, S. 4)
(Fortsetzung folgt) USR-III-Bschiss Nr. 2 als PDF Alle USR-III-Blogs
USR-III-Bschiss Nr. 5: Die Schweiz als Bunker und Verschiebebahnhof für weltweite Profite (Teil 1) USR-III-Bschiss Nr. 5: Die Schweiz als Bunker und Verschiebebahnhof für weltweite Profite (Teil 2) USR-III-Bschiss Nr. 6: Reformvorschlag des Bundesrats und Machwerk des Parlaments USR-III-Bschiss Nr. 7: Blackboxen im Multipack USR-III-Bschiss Nr. 8: Wer verliert – wer profitiert? USR-III-Bschiss Nr. 9: Da gibt es nur eins: NEIN stimmen! USR-III-Bschiss Nr. 10: Eine Alternative ist möglich
USR-III-Bschiss Nr. 2: Paradies perdu oder Schweizer Steuerprivilegien im Fokus von EU und OECD
Die Unternehmenssteuerreform III ist für viele ein Buch mit sieben Siegeln. In zehn Folgen versucht Niggi Scherr etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Teil 2 zum Pressing von EU und OECD.