Den ersten – vergeblichen – Versuch für die Einführung von Steuerprivilegien für Firmen unternahm 1901 die Zürcher Handelskammer. Anlässlich einer Steuergesetzrevision forderte sie die Zulassung von Holding- oder Domizilfirmen, bei denen höchstens 5 Prozent der im Ausland erzielten Gewinne hätten versteuert werden müssen. Als erster Kanton erlaubte Glarus 1903 die Bildung von sogenannten Domizilgesellschaften, in denen die Glarner Textilfabrikanten die Gewinne ihrer ausländischen Tochtergesellschaften steuerfrei bunkern konnten. Im gleichen Jahr folgte St. Gallen und schon bald setzte ein heftiger Unterbietungswettbewerb unter den Kantonen ein, die den von der Gewinnsteuer befreiten Unternehmen immer tiefere Kapitalsteuersätze offerierten.
Keller-Huguenin: «Refugium im Herzen von Europa»
Der Zürcher Geschäftsanwalt Eugen Keller-Huguenin brachte es auf den Punkt: «Die moderne Wirtschaftsentwicklung verlangt nach einem relativ unbelasteten Refugium im Herzen von Europa, das allen möglichen wirtschaftlichen Zwecken dient.» Als Lobbyist weibelte der Zürcher in den 1920/30er-Jahren erfolgreich für die Einführung von Spezialgesellschaften im Kanton Zug, heute schweizweit klarer Spitzenreiter bei den Holdinggesellschaften. «Dass die Gesetzgebung des sozial entzweiten Kantons Zürich» – so Keller – «dieser Situation Rechnung trage, erscheint ausgeschlossen. (…) Was aber in Zürich untunlich oder unwahrscheinlich ist, sollte m.E. dem beweglicheren, von obligatorischen Referenden befreiten Gesetzgebungsgang des Kanton Zug möglich sein.» (alles nach Michael van Orsouw: Das vermeintliche Paradies)
Holdings, Briefkastenfirmen und gemischte Gesellschaften
Mit der Zeit haben sich drei Haupttypen von sogenannten Statusgesellschaften herausgebildet:
- Holdinggesellschaften: Firmen, deren Ertrag zu mindestens 2/3 aus der dauernden Verwaltung von Beteiligungen stammt; erlaubt sind daneben auch konzernweite Koordinations- und Finanzierungsaktivitäten (z.B. börsenkotierte Dach-Holdings von Roche, UBS, CS Group, Swiss Re);
- Domizilgesellschaften, im Volksmund Briefkastenfirmen genannt: Firmen, «die in der Schweiz eine Verwaltungstätigkeit, aber keine Geschäftstätigkeit ausüben» (z.B. Patentver-waltungsgesellschaften);
- Gemischte Gesellschaften: Firmen, «deren Geschäftstätigkeit überwiegend auslandsbezogen ist und die in der Schweiz nur eine untergeordnete Geschäftstätigkeit ausüben» (z.B. Rohstoffhandelsfirmen wie Glencore, Vitol und Trafigura in den Kantonen Zug und Genf oder Novartis in Basel)
Massiver Steuerrabatt für Auslandsgewinne
Diese Firmen profitieren kantonal von massiv reduzierten Steuersätzen, weil davon ausgegangen wird, dass der Grossteil der Gewinne im Ausland erzielt und dort – so die völlig unbewiesene Fiktion – auch versteuert worden sind. Holdinggesellschaften zahlen kantonal überhaupt keine Gewinn- und eine massiv reduzierte Kapitalsteuer (in der Regel einen Fünftel des ordentlichen Ansatzes). Die anderen Spezialgesellschaften müssen bloss einen je nach Geschäftstypus pauschalisierten Teil ihrer ausländischen Gewinne versteuern, Domizilgesellschaften im Kanton Zürich mindestens 5 Prozent und gemischte Gesellschaften 10 – 20 Prozent.
Holdinggesellschaften funktionieren nach dem Matrjoschka-Prinzip
Der Bund kassiert voll
Auf Bundesebene müssen die Statusgesellschaften dagegen ihre vollen Gewinne zum Normalsatz versteuern (brutto 8.5% resp. netto – nach Abzug der Steuern – 7.83%). Allerdings mit einer wesentlichen Ausnahme: die Nettoerträge aus qualifizierten Beteiligungen – Voraussetzung sind ein Anteil von mindestens 10% des Aktienkapitals oder 1 Mio Franken Verkehrswert – können bei der Gewinnsteuerberechnung in Abzug gebracht werden. Von diesem sogenannten Beteiligungsabzug für Dividenden können alle Firmen, auch ordentlich besteuerte, profitieren. Ziel ist es, wie bei der Holdingbesteuerung, die doppelte Besteuerung schon einmal taxierter Gewinne zu vermeiden.
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