Vor dem ersten Qualitätsentwicklungstag für das Schulpersonal haben Tagesschul-Eltern Post erhalten. Die für die Betreuung Verantwortlichen teilten ihnen mit, dass ihr Nachwuchs am Q-Tag nicht wie üblich nach 15 Uhr, sondern bereits um 12 Uhr nach Hause käme. Für Verköstigung und Betreuung seien ausnahmsweise die Eltern verantwortlich.
Präsidentenkonferenz auf Abwegen
Wer nachfragte erhielt den Bescheid, dass die Tagesschule an Q- und anderen unterrichtsfreien Tagen wie dem Knabenschiessen generell nur bis um 12 Uhr offen sei. Das hätten die Schulpräsident/-innen (PK) in den AGBs für die Betreuung so festgelegt.
Die von der PK am 12. April 2016 verabschiedeten AGBs sehen tatsächlich vor, dass an den sechs bis acht schulfreien Arbeitstagen „ein unentgeltliches Betreuungsangebot (nur) während der Blockzeiten (8 bis 12 Uhr) genutzt werden“ kann. Es waren nicht nur Eltern, die gegen diese Regelung intervenierten.
Die Reaktionen haben die Schulpräsident/-innen veranlasst, die eben erst erlassenen AGBs zu revidieren. Am 6. Dezember verabschiedete sie eine neue Version. Sie sieht vor, dass an schulfreien Tagen „ein unentgeltliches Betreuungsangebot gemäss Stundenplan“ – also bis 15 Uhr – „genutzt werden kann“. Das ist, was berufstätige Eltern von einer Tagesschule erwarten.
Das Dilemma des Projekts
Man kann die Episode als Startschwierigkeit abtun. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass es sich beim Streit um die Betreuung an schulfreien Tagen um ein Wetterleuchten handelt, das vom grossen Dilemma erzählt, vor dem das Tagesschulprojekt steht.
Erklärtes Ziel der neuen Zürcher Tagesschule ist es, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern und die Chancengerechtigkeit zu erhöhen. Gleichzeitig wird aber auch immer betont, dass die bis 2025 flächendeckend einzuführende neue Schulform „in einem für die Stadt tragbaren finanziellen Rahmen bewegen“ müsse. Das ist zwar eine Selbstverständlichkeit. Es stellt sich nur die Frage, ob dieser finanzielle Rahmen auch so ausgestattet wird, dass die eingangs erwähnten Ziele erreicht werden können.
Auftrag mit Folgen
Wer den schulischen Alltag kennt, weiss dass diese Frage nicht einfach mit Ja beantwortet werden kann. Ziel des Stadtrates ist es, das rasante Wachstum der Ausgaben für die Volksschule zu bremsen. Das hat Folgen – auch für die Tagesschulen:
Weil beim Bau neuer Schulhäuser alle Reserveflächen weggespart werden, ist es in diesen kaum noch möglich, für Kindergarten- und Unterstufen-Schüler/-innen einen ruhigen Mittagstisch zu organisieren.
Obwohl die Anforderungen in der Betreuung steigen, sinken die zur Verfügung stehenden Personalressourcen und die Qualifikation der neu angestellten Mitarbeiter/-innen.
Tagesschule findet in Zürich nur von 8 bis 15 Uhr statt. Es ist klar, dass Familien, die vor oder nach den Blockzeiten oder an schulfreien Nachmittagen Betreuungsbedarf haben, künftig bedeutend mehr für „Zusatzleistungen“ bezahlen müssen.
Letzter Punkt war wohl auch Gegenstand der Diskussion, als die Schulpräsident/-innen über die kostenlose Betreuung an schulfreien Tagen diskutierten: Wird die Zeit reduziert, während der Tagesschule stattfindet, ist das gut für die Finanzen der Stadt.
Verteilkampf im Gang
Der Kampf um die knappen Ressourcen ist also im vollen Gang. Er wird sich verschärfen, wenn mehr Schuleinheiten auf Tagesschule umstellen. Die grossen Weichen sind auf FDP-Wunsch in Richtung Tagesschule light gestellt – mit möglichst kurzer Mittagszeit und frühem Schulschluss. Auf dem Spiel stehen die grossen Ziele der Reform: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und mehr Chancen für Kinder aus bildungsfernen Familien.
Diesen Verteilkampf dürfen wir nicht den Experten überlassen.
Der Artikel erschien im P.S. vom 20.01.2017