In einer mehrstündigen Debatte hat der Zürcher Gemeinderat Ende August einen Bericht des Stadtrats, zwei AL-Motionen, ein AL-Postulat und ein SP-Postulat zum Thema Prostitutionsgewerbeverordnung PGVO behandelt. Der Stadtrat plädierte für «weiter so». Die AL-Fraktion fordert dagegen einen klaren Kurswechsel, um der selbstbestimmten Sexarbeit Raum zu geben.
Werfen wir einen Blick in die Vergangenheit und auf die Gegenwart, um die Situation rund um die Prostitution in Zürich besser zu verstehen. Die Verabschiedung der PGVO im März 2012 (gegen die Stimmen von AL und EVP) war vor allem bei linksgrünen Frauen von der Hoffnung auf eine rechtliche und gesellschaftliche Besserstellung der Sexarbeitenden begleitet. Eine Hoffnung, welche die AL schon damals als illusionär taxierte.
Kleinstsalons verschwinden
Leider haben wir Recht behalten. Heute wird Sexarbeit in Zürich stärker kriminalisiert und durch die Bürokratie behindert als vor dem Erlass der PGVO. Im Zusammenwirken mit den neuen Bestimmungen der PGVO und der strikten Umsetzung der BZO-Bestimmungen wurde die Prostitution in den Kreisen 1 und 4 massiv zurückgedrängt. Im Jahr 2008 gab es 302 registrierte Salons in Zürich, 2015 waren es noch deren 138. Ein Drittel der registrierten Kleinstsalsons mit einer bis zwei Sexarbeiterinnen sind zwischen 2012 und 2014 verschwunden.
Am massivsten hat es den Kreis 4 als traditionelles Rotlichtquartier getroffen. Gab es dort 2008 noch über 120 registrierte Salons, waren es 2014 mit 55 noch knapp die Hälfte. Die Repression gegen Sexarbeiterinnen wird stetig verstärkt, die Polizeipräsenz ist enorm. Personen, die verdächtigt werden, Prostitution auszuüben oder als Freier unterwegs zu sein, werden gebüsst, falls sie dies in «unerlaubten Zonen» tun. Die Frauen dürfen im Kreis 4 keine Freier auf der Strasse anwerben. Auch vor den Bars, in welchen die Kontaktnahme geschieht, ist die Polizei präsent. Der Stadtrat hat längst Tatsachen geschaffen, um den Kreis 4 zu einem cleanen Trendquartier zu machen. Prostitution passt dabei nicht ins Bild. Für mich gehört diese aber genauso in unsere Strassen wie Junkies, Bezirksrichter und die Lädelibesitzerin von nebenan.
Ziel der PGVO weit verfehlt
Ein erklärtes Ziel bei der Einführung der PGVO war, die Salonprostitution gesetzlich zu regeln und den Strassenstrich beim Sihlquai zu schliessen. Statt des Sihlquais wurde der Depotweg eröffnet. Tatsache ist, dass die städtischen Vorzeige-Baracken für den Autostrich im Schnitt pro Nacht von gerade mal gut einem Dutzend Prostituierten genutzt werden. Der Grossteil der Frauen, die früher am Sihlquai standen, ist nicht nach Altstetten gezogen, sondern aus dem Blickfeld verschwunden.
Die AL-Fraktion forderte aus all den oben genannten Gründen in ihrer Motion die Aufhebung der PGVO…
… und, damit verbunden, ein Umdenken in der Prostitutionspolitik seitens des Stadtrats. Leider wurde sie dabei von keiner weiteren Fraktion im Gemeinderat unterstützt. Eines unserer wichtigsten Anliegen war die Zustimmung des Stadtrats zu einer liberalen Handhabung der polizeilichen Bewilligungspflicht. Denn bei Erlass der PGVO war es erklärter Wille und Konsens, Einzelsalons mit einer bis zwei Sexarbeitenden von der polizeilichen Bewilligungspflicht auszunehmen. Doch die buchstabengetreue Umsetzung der PGVO führt dazu, dass zahlreiche Kleinstsalons wegen Kündigung durch die Hausbesitzer oder wegen fehlender polizeilicher oder baurechtlicher Bewilligungen geschlossen worden oder von Schliessung bedroht sind. Diese Forderung haben wir zusammen mit der SP und den Grünen in Form eines Postulates eingereicht. Im Gemeinderat fand dieses breite Unterstützung.
AL steht nicht mehr alleine da
Ob sich seitens des Stadtrats etwas an der Praxis ändern wird, sei dahingestellt. Da sich dieser weigert, das geltende Nutzungsverbot in der BZO aufzuheben, bleibt jede sexgewerbliche Nutzung – ausgenommen ein paar wenige Fälle mit Bestandesgarantie, die mit jedem Jahr bedeutungsloser wird – sowohl im ganzen Langstrassenquartier als auch in der erlaubten Strichzone Niederdorf generell verboten.
Das SP-Postulat, welches einen legalen Strassenstrich im Langstrassenquartier forderte, blieb chancenlos. Es ist davon auszugehen, dass nur die von mir und Alan Sangines (SP) eingereichte Motion, welche die Aufhebung der Benutzungsgebühr für den Strassenstrich forderte, umgesetzt wird. Der Stadtrat wird wohl mit seiner mutlosen und repressiven Prostitutionspolitik weitermachen. Aber etwas hat die AL-Fraktion dennoch erreicht: Wir stehen mit unserer Kritik nicht mehr ganz alleine da. Ein großer Teil des Gemeinderats fordert ein Umdenken in der Prostitutionspolitik.
Christina Schiller, Gemeinderätin