Ein linkes Ja zur Vorlage wäre noch verständlich mit der Argumentation, die nächste Vorlage, die uns im Falle eines Nein unterbreitet würde, werde noch schlimmer ausfallen. Es gibt jedoch keine Gründe, so zu tun, als sei diese Revision ein Schritt in Richtung einer menschlicheren Asylpolitik. Im Gegenteil: sie stellt insgesamt eine erneute Verschärfung dar.
Taktisches Ja oder grundsätzliches Nein?
Die Parolenfassung ist der AL dementsprechend schwer gefallen. Ein Ja als trügerischer Pyrrhus-Sieg, um der Rechten eins auszuwischen? Oder ein Grundsatz-Nein mit der Aussicht auf eine noch unmenschlichere Folgevorlage? Aus rechtsstaatlicher Sicht ist das revidierte Asylgesetz mehr als fragwürdig. Es beschneidet die Grundrechte und reduziert die Chancen auf faire Verfahren. Abgesehen vom politischen Kontext sehen die Tatsachen wie folgt aus: Die Vorlage schreibt die Kasernierung von Flüchtlingen in den geplanten Bundeszentren vor. Wieviel Bewegungsfreiheit in diesen Einrichtungen zugelassen werden wird, ist noch unklar. Klar ist nur, dass die Asylsuchenden zusammengepfercht und isoliert werden sollen. Weiter soll die Behandlung eines Gesuchs künftig nur noch maximal 140 Tage dauern und die Beschwerdefristen werden von dreissig auf sieben Tage gekürzt. Bereits heute ist es für Asylbewerber schwierig, eine Rechtsvertretung zu finden, die so kurzfristig eine stichhaltige Beschwerde formulieren kann.
Das SVP-Märli von den „Gratisanwälten“
Die SVP hat die unentgeltliche Rechtsvertretung zum casus belli stilisiert. Abgesehen davon, dass den vom Staat finanzierten JuristInnen kaum Zeit zur Verfügung steht, ist Folgendes zu erwähnen: sie werden indirekt vom Staatssekretariat für Migration (SEM) über einen Leistungsauftrag an die Schweizerischen Flüchtlingshilfe bezahlt. Sie arbeiten mit den Behörden unter einem Dach und werden mit einer fixen Fallpauschale bezahlt – ein Negativanreiz, sich ja nicht intensiver um einen Fall zu kümmern.
Beide Seiten machen uns etwas vor
Weder kann eine Rechtsvertretung unter diesen Rahmenbedingungen viel Positives bewegen, wie die linken Ja-Sager behaupten, noch sind die JuristInnen ein teurer Luxus, wie die SVP uns vormachen will. Im Gegenteil: die Vorlage ist eine Sparmassnahme. Ihr Ziel ist, die Zahl der Beschwerden zu senken und Asylsuchende möglichst schnell und billig wieder loszuwerden.
Wir legen leer ein
Nach einer engagierten Diskussion hat die AL-VV sich zunächst eventual für ein Nein und anschliessend mit sehr klarem Mehr für «Leer einlegen» entschieden. Eine Parole, die nicht zu verwechseln ist mit Stimmfreigabe. Das Signal ist nicht, dass es keine Rolle spielt, was am Ende an der Urne herauskommt, sondern, dass beide Optionen nicht tragbar sind. Warum sollten wir jetzt Ja stimmen für etwas, das wir bei der letzten Abstimmung noch mit guten Gründen vehement bekämpft haben? Tatsache ist, dass die jetzige elfte Revision erneut eine Verschärfung darstellt, die die Grundrechte der Betroffenen weiter aushöhlt. Die sogenannt fairen verkürzten Verfahren mit ihren Fallpauschalen sind ein Technokraten-Kompromiss: Die weltweite Flüchtlingskatastrophe soll bei uns durch die Bundeszentren in einem geschlossenen Kreislauf so abgearbeitet werden, dass sich die einheimische Bevölkerung möglichst wenig damit befassen muss. Genau so wenig lässt sich jedoch ein Nein verantworten, weil die nächste Vorlage mit hoher Wahrscheinlichkeit noch herzloser werden würde. So oder so, die Situation bleibt untragbar.
Corin Schäfli, Gemeinderätin AL im AL-Info am 6. Mai 2016
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