Mit der Durchsetzungsinitiative wird heute erneut die Ausschaffung von Menschen gefordert, die hier geboren sind. Viele sind bereit, dafür den Anspruch auf rechtsgleiche Behandlung zu opfern.
Während wir über das Kriterium der Kriminalität diskutieren, steht etwas anderes längst fest: die Chancen, hier bleiben zu können, hängen unmittelbar mit dem finanziellen Wohlstand einer Person zusammen. Was sind die Fragen, die sich eine Gemeinschaft stellt, wenn sie entscheidet, wer kommen darf, wer gehen muss oder bleiben darf? Es ist vor allem eine: Wie holen wir den grössten Vorteil für uns heraus? Für «uns»: das heisst all die, die eine längere, nicht-kriminelle Geschichte in unserem Nationalstaat und einen gewissen Wohlstand vorweisen können. Aber welche Bedeutung bleibt für dieses nationalstaatliche «Wir» in der nahen Zukunft? Dieses «Wir», das so verzweifelt mit wirren Argumenten zwischen Blut, Geld, Boden, Essgewohnheiten und Genderverhalten verteidigt wird?
Und nun, nach der rhetorischen meine direkte Frage an die Anhängerinnen der Durchsetzungsinitiative. Sie sprechen abschätzig von «Wirtschaftsflüchtlingen», weil sie offenbar der Meinung sind, jedem Mensch stehe nur genau der Reichtum zu, den er sich auf dem Boden erwirtschaften kann, auf dem er geboren ist. Gleichzeitig lehnen sie faire Handelsbedingungen und Entwicklungszusammenarbeit ab und heissen Lebensmittelspekulation gut. Ich frage Sie: Macht der Glaube, dass Sie für das Gute kämpfen, indem sie das vermeintlich Böse in jene Gebiete verbannen, aus denen Sie Ihr Essen und Ihre elektronischen Geräte beziehen, in Ihren Köpfen heute noch Sinn? Meinen Sie immer noch, ein fairer Umgang mit anderen sei eine Art Geschenk, das man aus Mitleid macht?
Ich habe mein eigenes Erklärungsmodell dafür. Das Leben ist wie der Fussball: sind die «Mann»-schaften einmal gegründet, erübrigen sich zumindest auf dem Spielfeld und in den Zuschauertribünen alle Fragen, ausser der nach dem Sieg. Und so erfüllt der Nationalstaat weiter seinen ursprünglichen Zweck und vermittelt uns das Mass an ethnischem Überlegenheitsgefühl, das wir brauchen, um „unsere“ Wirtschaft gegenüber den andern zu pushen. Also treten wir weiter drauflos und rufen wir aus, die, die umfallen, hätten bloss die Schwalbe gemacht. Wer hat schon Lust, im Rausch des Spiels dessen Regeln oder gar seine Mannschaft in Frage zu stellen…
Corin Schäfli, AL-Gemeinderätin Zürich