Diese dunkle Ahnung wurde auch immer wieder ausgesprochen, zum Beispiel von meinem Onkel an sonntäglichen Diskussionen im Kreise der Familie, wenn er etwa meinte, wir täten letztlich wohl besser daran, nach Mazedonien zurückzukehren. Dort habe man sich als albanischsprachiger Bevölkerungsteil immerhin gewisse Minderheitenrechte erkämpft.
Natürlich gab es für mich, die ich hier aufgewachsen war und den allergrössten Teil meines Freundeskreises hier hatte, kein solches „Zurück“; meine Zukunft lag in der Schweiz. Also brachte ich jeweils folgende neunmalkluge Parole vor: Einzelne Rassisten gibt es immer und überall, selbst in der Schweiz. Aber der Schweizer Rechtsstaat, der behandelt uns alle gleich!
Das war als Teenager. Und danach kamen Minarettinitiative, Ausschaffungsinitiative, Masseneinwanderungsinitiative, dazwischen eine Serie von Verschärfungen im Asylbereich, und diesen Monat also: Die „Durchsetzungs“initiative. Was sich damit nun endlich durchsetzt, ist die Sicherheit, dass Leute wie ich hier nur so lange erwünscht sind, wie sie für die lokale „Herrenklasse“ verwertbar sind.
Während „Gastarbeiter“ wie meine Eltern von der Schweiz herzlich willkommen geheissen waren, die Kraft ihrer Körper in den Bau von Tunnels oder die Reinigung von Toiletten einfliessen zu lassen, will man meine Generation, so sie es hier nicht schaffen sollte, dahin wegschicken, wo sie angeblich hergekommen ist.
Gemeinsam mit vielen anderen muss ich mich nun der Tatsache stellen, dass die Diskriminierung, die uns begegnet, auf weitaus mehr gründet als auf Einzelfällen und „mulmigen Gefühlen“ der Nichtanerkennung. Sie soll dem Gesetz eingeschrieben werden als handfeste Rechtsunsicherheit und -ungleichheit: Den wirtschaftlich schwachen, prekär beschäftigten und mit sozialen Problemen kämpfenden Teil der Gesellschaft kann man nach Belieben abschieben, wenn es brenzlig wird. Und brenzlig, das wird’s halt seit eh und je tendenziell bei den Kindern derjenigen, die für ihr Geld auf dem Bau und in der Reinigung schuften müssen.
Das Praktische daran ist nun, statt sich mit diesen sozialen Problemen der eigenen Unterschicht – denn nichts Anderes sind wir! – auseinanderzusetzen, kann die Schweiz die Ursachen für Bildungsmangel, Perspektivlosigkeit und Kriminalität der marginalisierten Bevölkerung in fernen Ländern suchen, statt in dem, was die betroffenen Menschen hier, in ihrer Heimat, erleben.
Eine Annahme der Durchsetzungsinitiative durch den Teil der Schweiz, der abstimmen kann, über die Köpfe derjenigen hinweg, die nicht mitbestimmen dürfen, käme de facto einem Abschieben der gesellschaftlichen Verantwortung gleich. Es wäre ein weiterer harter Schlag ins Gesicht von uns “Ausschaffbaren”. Ein Schlag allerdings, der nicht nur uns, sondern auch den Schweizer Rechtsstaat vollends aus dem Gleichgewicht zu bringen droht.
Shpresa Jashari