(Manuela Schiller) Als meine Kinder auf die Welt kamen, konnte ich meinen Vorsatz, mit ihnen in meiner Muttersprache Italienisch zu sprechen, nicht in die Tat umsetzen, weil mir spontan Züridüütsch über die Lippen kam – Zeichen einer gelungenen Integration. Dennoch habe ich, als die Schweiz und Italien endlich die Doppelbürgerschaft ermöglichten, mit Stolz meinen ersten italienischen Pass in Empfang genommen. Ich gebe zu, dass die vielen Jahre mit Berlusconi an der Macht dieses Gefühl hart auf die Probe gestellt haben. Nie hätte ich jedoch gedacht, dass ich heute alle meine ausländischen Freunde, Nachbarn und Klienten, die in der Schweiz geboren wurden oder schon lange hier wohnen, vor allem deshalb auffordere, sich rasch einzubürgern, damit nicht die Gefahr entsteht, dass ihre Kinder ausgeschafft werden. Und zwar auch wegen Bagatellen.
Das Ausländergesetz sieht schon heute vor, dass die Niederlassungsbewilligung widerrufen werden kann, wenn der Ausländer zu einer längeren Freiheitsstrafe – egal ob bedingt oder unbedingt – verurteilt worden ist. Das Bundesgericht setzt als Grenze eine Strafe von einem Jahr. Die Migrationsämter prüfen routinemässig, ob die Bewilligung entzogen werden soll.Die Praxis dazu wurde seit Jahren härter. Aber es findet nach wie vor eine Einzelfallprüfung statt.
Die Ausschaffungsinitiative hat eine weitere Verschärfung gebracht. Das Parlament hat dazu eine Umsetzungsvorlage beschlossen, die minimale Verfassungsgarantien enthält. Eine sehr restriktiv gehaltene Klausel ermöglicht den Gerichten, ausnahmsweise von einem Landesverweis abzusehen. Mit der Durchsetzungsinitiative soll nun aber jeder Ausländer, der ein im Katalog enthaltenes Delikt begeht, zwingend und automatisch ausgeschafft werden, ohne dass ein Richter den konkreten Einzelfall prüfen darf. Die Initiative zielt auf die Hunderttausende von Secondos, die bei uns gemeinsam mit den Kindern mit Schweizer Pass aufwachsen.
Als Mutter und Rechtsanwältin erleb(t)e ich täglich, wie rasch in der abenteuerlichen Zeit des Erwachsenwerdens Jugendliche irgendeine Dummheit begehen. Ich kann nicht einsehen, weshalb in solchen Fällen der Schweizer Pass darüber entscheiden soll, ob jemand ausgewiesen wird. Ich will nicht auf den Grundsatz verzichten, dass jeder Einzelne von uns im konkreten Einzelfall das Recht hat, seine ganz persönliche Situation durch einen Richter überprüfen zu lassen. Ich kann und will nicht glauben, dass die Mehrheit der Stimmenden einer solchen ungerechten, unmenschlichen und zutiefst undemokratischen Initiative zum Sieg verhilft. Gehen Sie zur Urne und stimmen Sie Nein. Überzeugen Sie zusätzlich jemanden aus Ihrem Umfeld, es Ihnen gleich zu tun. Danke.
Manuela Schiller, Rechtsanwältin
Originalbeitrag aus Tagblatt 20. Januar 2016, Forum der Parteien