Freitagmittag, 9. – 16. Stunde der Budgetdebatte im Gemeinderat. Wir waren schnell unterwegs dieses Jahr – dachten wir. Heute sind wir extra rechtzeitig gekommen, weil die erste Abstimmung schon kurz nach zwei anstehen soll. Es ist halb drei. Und „wir“ debattieren über formale Schön- und Unschönheiten der letzten Sitzung.
Dieses und letztes Jahr – behaupten die Bürgerlichen – seien die Budgetbeschlüsse sowieso reiner Zufall. Weil die Grünliberalen in Budgetfragen meist rechts stimmen, verläuft der Links-rechts-Graben genau in der Mitte. Den Ausschlag gibt häufig eine einzige Person: der Ex-SVP-ler Mario Babini, den die Fraktion nach einem medial aufgebauschten Zwischenfall rausgeschmissen hat. Sein Stimmverhalten ist oft schwer vorhersehbar. Zufällig ist es trotzdem nicht. Babini wägt sorgfältig ab und vermeidet ideologische Floskeln; man spürt eine Informiertheit, die vielen andern hier drin abgeht.
Zurück zur Frage nach dem Sinn: wieso tun wir uns das an – 23 Stunden Sitzung in drei Tagen? Über Budgetanträge kann vieles relativ einfach beeinflusst werden, wozu sonst mühsame Arbeit nötig wäre. Die Grünen zum Beispiel versuchen, möglichst alle Strassenprojekte zu streichen, die ungenügende Velomassnahmen aufweisen. Wir können mehr Entwicklungshilfe verlangen oder eine Behördenkampagne zur ewz-Ausgliederung verhindern; die Bürgerlichen können weiterhin versuchen, den Sozialstaat abzubauen und die Entwicklung zeitgemässer Energiequellen auszubremsen.
Mein Highlight in diesem Jahr: Auf Antrag der AL hat der Rat einstimmig beschlossen, den Kredit für eine überteuerte Renovation einer 450jährigen städtischen Liegenschaft am Burenweg zu streichen – ein Projekt, das sämtlichen DenkmalschützerInnen der Stadt die Zehennägel nach hinten bog. Mich freut das besonders, weil sich in dem Haus in den letzten Jahren ein Projekt entwickelt hat, das auf das ganze Quartier ausstrahlt. Die Bewohnerinnen nutzen das Umland zum Anbau von Gemüse, das man im Abo beziehen kann. Sie setzen damit eine Nutzung fort, für die das Haus im 16. Jahrhundert gebaut worden ist und für die es sich immer noch optimal eignet. Wegen mangelndem Komfort ist die Miete sehr günstig; das lässt den Mietern Zeit zu anderem als zum Geldverdienen. Die Genossenschaft lädt regelmässig zum Essen und gemeinsamen Gärtnern ein, veranstaltet Feste und andere Anlässe, die ein bunt gemischtes Publikum erfreuen.
Diesen Herbst haben die Burenwegler Finanzvorstand Daniel Leupi eine Petition überreicht, mit wenig Aussicht auf Erfolg. Jetzt, in der Budgetdebatte, wo es regelmässig ums Sparen geht, stellten sich plötzlich auch die Rechten hinter sie.
Man hat mich davor gewarnt, bloss partikulare Interessen zu vertreten. Der Burenweg ist ja nicht das Opernhaus, das zweifelsohne von allen Teilen der Bevölkerung dringend benötigt wird. Aber er ist genau das, wofür wir uns in der AL starkmachen sollten: Raum für gesellschaftliche Experimente, nicht nur die Verteidigung etablierter kultureller Projekte.
Es stimmt, das Haus braucht eine Renovation. Aber dass diese zu Aufwertung und Vertreibung führt, muss nicht sein. Die BurenweglerInnen werden ihr Haus nun nicht im Sommer verlassen müssen, wie sie befürchtet haben, und das Projekt kann weitergehen. Und ich freue mich auf die Weihnachtsfeier am Burenweg, bald nachdem wir hier fertig sind.