Zuerst drei Vorbemerkungen und dann etwas konkrete Mathematik.
In Schlüsselfragen tickt Noser so rechts wie Vogt
Erstens: Notter, Fehr und Ledergerber wissen bestens, dass Noser in Fragen, die auch für gemässigte Sozialdemokraten wesentlich sind wie Atomausstieg, Energiewende, AHV-Stärkung etc., nicht anders tickt als Vogt. Mario Fehr würde ich als einzigem eventuell mildernde Umstände zubilligen. Er ist offenbar ein echter Freund von Noser – sofern es das in der Politik wirklich gibt – und ist dem Ruedi noch etwas schuldig, weil er ihn im Frühling für den Regierungsrat empfohlen hat. Allerdings ist die Vermutung erlaubt, ob der Ruedi das nicht schon damals aus politischem Kalkül gemacht hat, um im Herbst Gegenrecht zu erhalten.
Koalition der Vernunft ist passé
Zweitens: Irgendwie habe ich den Eindruck, Markus Notter und Elmar Ledergerber sind bei ihren Einschätzungen in den Schützengräben der 1990er-Jahre steckengeblieben. Damals schmiedeten SP und FDP Koalitionen der Vernunft, um den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der SVP und ihre destruktive Politik zu kontern. Von der damaligen Vernunft der FDP ist heute nicht mehr viel geblieben. Ihre Zürcher Exponenten, auch Noser, sind praktisch alle nach rechts geschwenkt. Gar nicht zu reden davon, dass mit einer Wahl von Noser das SVP-U-Boot Bigler in den Nationalrat nachrücken würde…
Warum nicht zweimal Mitte-Links?
Drittens: Daniel Jositsch steht innerhalb seiner Partei eher auf dem rechten Flügel und ist als sozialliberaler Mitte-Links-Kandidat gleich im ersten Wahlgang durchmarschiert. Bastien Girod ist ein in vielem vergleichbarer pragmatisch-ökoliberaler Mitte-Links-Kandidat. Die smartvote-Profile der beiden liegen nicht um Welten auseinander. Statt jetzt den pawlowschen „Koalition-der-Vernunft“-Reflex pro FDP zu aktivieren, sollten sich Notter, Fehr und Ledergerber eher fragen, warum sie nicht bereit sind, die Chance zu packen, einem verlässlichen Mitte-Links-Exponenten statt einem weiteren Zudiener des Finanzplatzes zur Wahl zu verhelfen.
Vogt bleibt im SVP-Reduit
Nun zur weitaus entscheidenderen Mathematik. Im ersten Wahlgang erhielt der SVP-Kandidat Hans-Ueli Vogt 123‘144 Stimmen oder 30.38%. Damit schöpfte er nicht einmal das Wählerpotenzial der SVP aus, die 30.68% erreichte. Dies obwohl er im ersten Wahlgang, bei dem man zwei Kandidaten wählen konnte, zudem noch Stimmen von anderen Parteien, wenn auch nicht allzuviele, erhalten hat. Nimmt man das Ergebnis Vogts auf der SVP-Nationalratsliste, so kamen knapp zwei Drittel seiner Fremdstimmen von der FDP. Mit den FDP-Stimmen kann er im zweiten Wahlgang, wo es für die FDP um die Wurst geht, nicht mehr rechnen. Diesen Verlust kann er auch nicht durch Zugewinne bei den Mitteparteien (GLP, BDP, CVP, EVP) kompensieren, von denen er im ersten Wahlgang nur sehr wenige erhielt. Eindeutiges und bitteres Fazit für Vogt: Er wird auf den 30% des ersten Wahlgangs hocken bleiben oder eher noch dahinter zurückfallen. Wie wenig Chancen Brunner und Blocher Vogt einräumen, zeigt sich daran, dass sie bereit waren, ihn zu „opfern“, falls die FDP für den zweiten Wahlgang im Aargau Präsident Philip Müller zugunsten des SVP-Kandidaten zurückziehen würde.
Entscheid fällt zwischen Girod und Noser
Damit ist klar, dass es um im zweiten Wahlgang um ein Duell zwischen Bastien Girod von den Grünen und den Freisinnigen Noser geht. Zieht man die 26 – 32% ab, die auf Vogt und Diverse entfallen, verbleiben 68 – 74% für Girod und Noser. Gewinner in diesem Zweitkampf ist, wer mehr als die Hälfte davon, also 34 – 37% der Stimmen erhält. SP, Grüne, AL und die Liste Kunst + Politik haben am 18. Oktober 30.88% erzielt. Piraten und Tierpartei, die Bastien Girod unterstützen, kamen auf 1.06%. Die Mitteparteien GLP, BDP, CVP und EVP erhielten 19.08% der Stimmen. Wenn Linksgrün wählen geht und geschlossen stimmt und ein Viertel bis ein Drittel der Mitte-WählerInnen Bastien die Stimme gibt, kann es klappen.
Packen wir die Chance
Also: es geht nicht darum, mit einem „vote utile“ den chancenlosen SVP-Vogt zu verhindern, sondern die Chance zu packen, den Rechtsruck vom 18. Oktober zu korrigieren. Wie überall im Leben gibt es auch in der Politik „windows of opportunity“ – Zeitfenster, wo plötzlich etwas möglich ist. Die einmalige Konstellation mit der Wahl von Jositsch im ersten Wahlgang müssen wir nutzen.