Er ist ein 118 Meter hoher Turm, dominant, grau, massiv und aus Beton. Er steht seit neustem im Industrie-Quartier und eine Flussbreite von Wipkingen entfernt. Er ist unübersehbar. Wir im Quartier wollten den Kornsilo nicht, alle anderen in der Stadt schon. „Von schlanker Schönheit“ werde er, pries ihn die Bauherrin SwissMill an, und dass der Turm uns an ein überdimensioniertes „Getreidebündel“ erinnern würde, auch dass man mit etwas ästhetischem Gespür „die marmorartigen Spuren auf seiner Oberfläche“ würde visuell geniessen können.
Plötzlich, mitten im Sommer, stand er also da – oder was einige im Quartier dachten, das sei er nun. Es stellte sich schnell heraus, dass es sich erst um die erste von zwei Bauetappen handelte und sich vor uns nur eine Hälfte des Baus auftürmte. Jedenfalls liessen sich für kurze Zeit ein paar wankelmütige SilokritikerInnen dazu hinreissen, erleichtert mit einem „Ist ja gar nicht so schlimm“ auszuatmen, andere erlaubten sich sogar den Vergleich mit einem ägyptischen Obelisken.
Seit kurzem ist Bauetappe zwei abgeschlossen, der Turm ist jetzt doppelt so dick und eine stelenartige Eleganz geht ihm dadurch definitiv ab. Er ist unattraktiv. Er ist der hässliche und etwas kürzere Bruder des strahlkräftigen Prime Towers. Er steht uns WipkingerInnen vor der Sonne. Und – hier mein kleines Comingout – ich habe mich in der Zwischenzeit in ihn verliebt.
Seine Hässlichkeit fasziniert und inspiriert mich. Und so unsensibel wie er aussieht, kann er nicht sein, denn er ist nahe am Wasser gebaut – kleiner Scherz. Ausserdem kann dank ihm, das muss man sich einmal vorstellen, in Krisenzeiten die Bevölkerung im Raum Zürich vier Monate lang mit Mehl und Brot versorgt werden. Und dann kriegt er bald auch noch Solarzellen verpasst. Der neue Turm ist im Vergleich zu seinem Strahlemann-Bruder sozial und ökologisch um einiges verträglicher.
Vielleicht hat also dieser Graue Turm von Zürich dereinst die Chance, den Olymp der Zürcher Leuchttürme zu erklimmen, oder sogar zum einzig wahren Wahrzeichen dieser Stadt zu werden – mit internationaler Ausstrahlung, versteht sich. Für mich ist er es bereits.