Im Erweiterungsbau des Kunsthauses soll ein Grossteil der von Emil Bührle gesammelten Bilder und Skulpturen – vorerst als Leihgabe für zwanzig Jahre – ausgestellt werden. Seine Kunstkäufe in den 1930er- und 1940er-Jahren finanzierte Bührle im Wesentlichen mit Profiten aus Waffenverkäufen an die Nazi-Schergen. Wie weit er dabei die verfolgungsbedingte Notlage jüdischer Verkäufer kannte, in Kauf nahm oder ausnutzte, ist nicht abschliessend geklärt. Dass jetzt diesem Waffenlieferanten des Nazi-Regimes ausgerechnet dort ein weiteres Denkmal gesetzt werden soll, wo einst ein mittelalterlicher jüdischer Friedhof lag, mag als lästige Laune des Schicksals abgetan werden. Umso zwingender sind eine lückenlose Herkunftsforschung und die Veröffentlichung ihrer detaillierten Resultate. Vor allem aber auch eine prominente Dokumentation der Herkunftsgeschichte eines jeden dieser Bilder im Ausstellungsbetrieb selber.
Will die Stadt Zürich mit dem Chipperfield-Erweiterungsbau und der Eingliederung der Sammlung Bührle nicht bloss das leider mittlerweile übliche kulturelle Standortmarketing betreiben, muss sie dafür einstehen, dass sich die Herkunftsforschung bei der Sammlung der Bührle-Stiftung wie auch beim Kunsthaus Zürich nach dem aktuellen Stand der internationalen Debatte richtet. Diese verlangt klar, dass verfolgungsbedingte Notverkäufe von Kunstwerken – auch Fluchtkunst genannt – mit Raubkunst gleichgesetzt werden. So lässt das Kunstmuseum Bern die Sammlung Gurlitt nach den strengen, in Deutschland geltenden Massstäben untersuchen: Was als verfolgungsbedingter Verlust gelten könnte, wird nicht in die Schweiz kommen. Marc Fehlmann, der scheidende Direktor des Museum Oskar Reinhart in Winterthur, hat bereits 2012 in vorbildlicher Weise die Bestände erneut überprüfen lassen, mit dem Ziel, die Herkunft der als Fluchtkunst identifizierten Werke transparent zu machen.
Sehr bald wird der Gemeinderat über die Abschreibung des AL-Postulats zur Offenlegung der Archivakten der Stiftung Bührle diskutieren. Der ausgesprochen dünne, dreiseitige stadträtliche Bericht (GR 2015/67) zeigt deutlich, dass es Präsidialdepartement und Stadtrat an der Überzeugung fehlt, ein vertieftes Bewusstsein für die Geschichte zu schaffen, die diesen Bildern aus ehemals jüdischem Besitz innewohnt. Der Stadtrat weiss nur lobend zu vermerken, dass die Bührle-Stiftung über eine vollständige Kauf-Chronik verfügt. «Reguläre Verkäufe in schwierigen Zeiten» nennt die Stiftung Bührle, was andernorts als Fluchtkunst oder verfolgungsbedingte Verluste bezeichnet wird. Das scheint dem Stadtrat zu genügen.
Nicht nur der Begriff «Fluchtkunst» fehlt im Stadtratsbericht, auch weitere Postulats-Forderungen werden schlicht ignoriert. So namentlich die Forderung, auch die Kunstwerke im Privatbesitz der Familie Bührle – deren Reputation eng mit der des Kunsthauses und der Stadt Zürich verknüpft sind – der unabhängigen Forschung zugänglich zu machen. Die Bitte nach Herkunftsüberprüfung sämtlicher Werke, die das Kunsthaus während und nach dem zweiten Weltkrieg erworben hat, wird lapidar mit dem Hinweis auf den öffentlich zugänglichen Gesamtkatalog abgespeist. Dieser nennt bloss den Verkäufer oder Schenker und bringt keine aussagekräftigen Informationen zur Provenienz. Und zur nachdrücklich geforderten kritischen Aufarbeitung für die Kunsthausbesucherinnen und -besucher äussert sich der Stadtrat überhaupt nicht.
Die Herkunft von Kunstwerken in Schweizer Museen und Sammlungen, die vor, während oder nach dem zweiten Weltkrieg gehandelt wurden, wird Politik und Öffentlichkeit in den nächsten Jahren weiterhin intensiv beschäftigen. Bilder haben mehr als eine Entstehungsgeschichte. Auch das Wissen, wer sie als entartet weggesperrt, wer sie geraubt und wer sie unter welchen Umständen erworben hat, gehört zu ihrer Geschichte. Vom rot-grünen Zürcher Stadtrat hätten wir hier mehr Offenheit erwartet.
(P.S. 28. August 2015)
“Wolff gibt Versprechen ab” (Bericht Lokalinfo über die Diskussion zu Raub- und Fluchtkunst im Kaufleuten vom 25. August 2015, u.a. mit AL-Stadtrat Richard Wolff)