Niggi Scherr
Die zwei Vorlagen mit dem trockenen Titel „Verfassung des Kantons Zürich (obligatorisches Referendum für Gebühren)“ und „Gemeindegesetz (Änderung; Gebührenkatalog)“ gehen auf zwei Initiativen aus Kreisen des Hauseigentümer- und Gewerbeverbands zurück. Sie haben im Kantonsrat eine – bürgerliche – Mehrheit gefunden, werden aber vom mehrheitlich bürgerlichen Regierungsrat und einem Referendumskomitee von 81 Gemeinden klar abgelehnt.
Worum geht es?
Im Wesentlichen wird Folgendes verlangt:
- sämtliche Gebühren müssen künftig detailliert auf Gesetzesstufe geregelt werden;
- Gesetze und Änderungen, die neue Gebühren einführen oder für Einzelne höhere Gebührenbelastungen bewirken, müssen automatisch vors Volk;
- alle vier Jahre müssen Kantonsrat sowie Gemeindeparlamente resp. Gemeindeversammlungen bei Legislatur-Beginn einen Katalog sämtlicher – inkl. der bereits einzeln beschlossenen – Gebühren genehmigen;
- alle Gebühren, deren Ertrag die Aufwendungen überschreiten, müssen einzeln genehmigt werden;
- nicht genehmigte Gebühren dürfen nicht erhoben werden.
7 Milliarden Franken Gebühren ohne demokratische Kontrolle?
Der politische Hansdampf-in-allen-Gassen Andri Silberschmidt von den Jungfreisinnigen verkündet vollmundig auf dem Abstimmungsflyer: „Es ist höchst bedenklich, wenn jedes Jahr rund 7 Milliarden Franken ohne demokratische Kontrolle eingetrieben werden“. Der geneigte Stimmbürger erschauert andächtig ob diesem milliardenschweren Demokratie-Defizit. Die Webseite der Befürworter unterfüttert den skandalösen Tatbestand mit drei Grafiken zum Kanton Zürich (2012: 2.76 Milliarden Gebühren) sowie den Städten Zürich (2.65 Milliarden) und Winterthur (417 Millionen), zusammengerechnet 5.7 Milliarden Franken Gebühren.
Bei genauem Hinsehen entpuppt sich der vermeintliche Demokratie-Skandal als Schall und Rauch. Ein grosser Teil der für die Gesamtbevölkerung wesentlichen Gebühren für Strom, Wasser, Abwasser, Abfall etc. wird heute schon von der Gemeindeversammlung resp. dem Gemeindeparlament festgesetzt. Mit einer wesentlichen Ausnahme: Dort, wo die Gemeinde – auf Betreiben der gleichen bürgerlichen Kreise, die jetzt lauthals nach „fairen Gebühren“ rufen – ihre kommunalen Werke in eine privatrechtliche Gemeinde-AG ausgegliedert hat, hat weder die Gemeindeversammlung noch das Kommunalparlament bei der Tariffestsetzung mehr mitzureden. Dies, obwohl die Gemeinde meist 100% der Aktien ihr eigen nennt. Bürgerliche Gebühren-Schizophrenie…
Dreiste rot-grüne Gebühren-Zocker in der Stadt Zürich?
Besonders im Visier haben die rechten Campaigner naturgemäss die rot-grüne Stadt Zürich, in der laut ihrer Statistik die Gebühren von 2003 bis 2012 von 2.193 auf 2.65 Milliarden Franken gestiegen sind: „Besonders dreist: Die Stadt Zürich nimmt mit 2.65 Milliarden Franken sogar gleich viel Gebühren ein wie der Kanton Zürich (2.67 Milliarden Franken). Zudem sind die Gebühreneinnahmen höher als die Steuereinnahmen.“
Was hat es mit den 2.65 Milliarden Gebühreneinnahmen der Stadt Zürich im Jahr 2012 konkret auf sich? Wo die Initianten diese Zahl her nehmen, ist nicht ganz klar. Offenbar haben sie diese dem Rechnungskonto 4300 („Entgelte“) entnommen, das für dieses Jahr 2.704 Milliarden ausweist, und davon die Bussen abgezogen. In diesem Sammelkonto werden allerdings Erträge aller Gattung verbucht, die mit Gebühren nicht entfernt zu tun haben. Lassen wir die Unterkonti 437 Bussen (64.1 Mio), 435 Verkäufe (51.2 Mio), 436 Rückerstattungen (285.0 Mio) 438 Eigenleistungen für Investitionen (52.7 Mio) und übrige Entgelte (17.7 Mio) weg, so resultieren noch Gebühren im engeren Sinn von 2.23 Milliarden Franken. Das ist bereits deutlich weniger als die Steuereinnahmen von 2.41 Milliarden. Pikant: die von rechts stets so verteufelten Bussen für Raser, Rotlichtsünder und Falschparkierer sind von 89.7 im Jahr 2003 auf schlappe 64.1 Mio Franken im Jahr 2012 abgesackt…
Explodierende Heim- und Spitaltaxen…
Im Detail sehen die effektiven Gebühreneinnahmen (in Mio Franken) wie folgt aus:
Gebühr |
2003 |
2012 |
4310 Gebühren für Amtshandlungen |
78.6 |
82.0 |
4320 Spital- und Heimtaxen, Kostgelder |
424.1 |
894.8 |
4330 Kursgelder Schule |
14.0 |
27.8 |
4340 Benutzungsgebühren und Dienstleistungen |
1‘107.3 |
1‘229.6 |
Fazit Nr. 1: die von den „Fairness“-Predigern am meisten kritisierten eigentlichen Verwaltungsgebühren (Baubewilligungen, Feuerungskontrolle etc.etc.) sind in zehn Jahren gerade mal um 4 Prozent gestiegen – trotz massiv gestiegener Bautätigkeit und 8 Prozent mehr Einwohnern. Selbst wenn man die Einbürgerungsgebühren, die sich annähernd halbiert haben, weglässt, bleibt bloss eine Zunahme von 6 Prozent.
Fazit Nr. 2: Das Gros der Erhöhungen – mit mehr als einer Verdoppelung – entfällt auf Heim-und Spitaltaxen, davon 60 Prozent auf die beiden Stadtspitäler Waid und Triemli. Allein die Einführung der von der bürgerlichen Mehrheit durchgepeitschten Fallpauschalen schlägt in den beiden Stadtspitälern mit rund 140 Millionen Franken zu Buche. Die massiv höheren Spitaltaxen werden nota bene über die unsozialen Kopfprämien der Krankenkassen finanziert, die von unseren Gebühren-Guerilleros stets mit Verve verteidigt werden. Zudem sind die Heim- und Spitaltaxen nicht zuletzt auch gestiegen, weil die bürgerlichen Mehrheiten in Regierung und Kantonsrat regelmässig Kosten auf die Gemeinden abgewälzt haben.
…Stagnation und Rückgang bei wichtigen Gebühren
Das Konto 4340 (Benutzungsgebühren und Dienstleistungen) enthält die für die Gesamtbevölkerung wesentlichen Benutzungsgebühren für Wasser, Abwasser, Strom etc. Hier haben sich die Gebühreneinnahmen wie folgt entwickelt (in Mio Fr.):
Werkgebühr |
2003 |
2012 |
Abwasser |
117.1 |
118.5 |
Abfall |
111.0 |
114.1 |
Wasser |
118.1 |
95.0 |
Fernwärme |
34.0 |
65.4 |
Die Zahlen sprechen für sich. Die Zuwächse bei Abwasser und Abfall liegen klar unter dem Bevölkerungszuwachs von 8 Prozent im gleichen Zeitraum. Die Einnahmen aus Wassergebühren sind sogar um rund einen Viertel zurückgegangen. Die Fernwärme-Einnahmen haben sich wegen des Ausbaus, der beschlossenen Sanierungsmassnahmen und wegen der Tarif-Anbindung an die Oel- und Gaspreise dagegen massiv verteuert.
Das Gros der Gebühren-Erhöhungen im Konto 4340 entfällt auf das ewz. Wegen der intransparenten Globalbudgetierung ist der genaue Betrag nicht zu ermitteln. Der Zuwachs von 2003 bis 2012 dürfte 100 – 110 Mio Franken ausmachen. Der grösste Teil davon entfällt nicht auf Tariferhöhungen, sondern auf höhere Einnahmen für die Vermarktung von Überschussstrom an der Strombörse sowie auf den Ausbau des Energie-Contractings und des Telekom-Bereichs.
Nix Gebühren-Hölle in Zürich – nicht zuletzt dank AL
Gesamtfazit: Die Gebühren-Hölle, die die bürgerlichen Initianten an die Wand malen, ist im rot-grünen Zürich bei weitem nicht in Sicht. Das verdanken die Stadtzürcherinnen und Stadtzürcher nicht zuletzt dem tatkräftigen Einsatz der AL im Gemeinderat. Wir haben von den bereits existierenden demokratischen Tarif-Kompetenzen mit Einzelinitiativen und Motionen aktiv Gebrauch gemacht und bei den Abwassergebühren und Stromtarifen Senkungen durchgesetzt. Diesen Herbst folgt eine weitere Senkung der Abfall- und voraussichtlich auch der Abwassergebühren, welche AL- und FDP mit einer gemeinsamen Motion 2013 eingefordert haben.
“Faire Gebühren” oder Demagogie von rechts (Text als PDF)