Die politische Ausgangslage ist also mehr als ungünstig. Das darf und wird uns aber nicht daran hindern, auch weiterhin auf die Probleme und die Verbesserungsmöglichkeiten des aktuellen Systems der Sozialhilfe hinzuweisen. Aus Angst vor weiteren bereits angekündigten Verschlechterungen gehen wir nicht in die Defensive und beim Versuch zu retten, was noch zu retten ist, lassen wir die Rechte und Bedürfnisse der Betroffenen keinen Augenblick ausser Acht.
In den 90er Jahren gab es in der Sozialpolitik einen eigentlichen Paradigmenwechsel. Der Soziologe Kurt Wyss bezeichnet ihn als Wandel von „welfare“ zu „workfare“. Im aktivierenden Sozialstaat sind sozialleistungsbeziehende Erwerbslose verpflichtet, für die finanzielle Unterstützung eine Gegenleistung zu erbringen. Die mit den Massnahmen zusammenhängenden finanziellen Kürzungen, sowie die Verschärfung der Bezugsbedingungen sollen unter anderem die Erwerbslosen motivieren, ihre Situation aktiv zu verändern. Das Ausbezahlen des sozialen Existenzminimums wird an ein bestimmtes Verhalten von Betroffenen geknüpft. Die Aktivierungspolitik im Sozialstaat unterstellt somit den Betroffenen Passivität; die Verantwortung für die gesellschaftliche Position der Einzelnen wird individualisiert. Es ist aber in der übergrossen Mehrheit nicht das Individuum das versagt hat, sondern wie es Gabriela Winkler (FDP) gerade wieder formuliert hat: „95 Prozent der Sozialhilfebezüger sind unverschuldet in Not.“
Nichtsdestotrotz: Arbeitsintegrationsangebote sind für die meisten attraktiv, die Teilnehmenden gewinnen dadurch eine Tagesstruktur und soziale Kontakte. Die Benennung ist aus unserer Sicht jedoch irreleitend – wir sprechen von „Angeboten“, de facto handelt es sich aber um Aufgaben mit Zwangscharakter. Auch die NZZ fragt, ob man nicht von Zwangsarbeit sprechen müsse, „die dem in der Bundesverfassung verankerten Individualrecht auf freie Ausübung einer Erwerbstätigkeit widerspreche“.
Der Soziologe Peter Schallberger, Professor an der Fachhochschule St. Gallen, beschreibt die auf diese Art verrichtete Arbeit als formell unfrei beschäftigte und staatlich subventionierte Billigarbeitskraft. Diese konkurrenziere übrigens immer wieder auch das Gewerbe, das mit Normalarbeitslöhnen kalkulieren müsse.
Wir fordern, dass Arbeitsintegrationsangebote auch effektiv Angebote sind und auf freiwilliger Basis erfolgen. Sie müssen wieder echten Integrationscharakter erhalten und dürfen keine Gegenleistungsindustrie bleiben. Wir akzeptieren nicht, dass Menschen ohne ausreichendes eigenes Einkommmen in ihren Rechten eingeschränkt, überwacht und in prekäre Arbeitsverhältnisse gezwungen werden. AL-Fraktionserklärung
Arbeitsintegrationsmassnahmen: Arbeitslos und rechtlos?
Seit Jahren diffamiert die politische Rechte sämtliche Sozialleistungen, insbesondere die Sozialhilfe und Ihre EmpfängerInnen. Schritt für Schritt wird die Berechtigung von Sozialhilfe in Frage gestellt und werden ihren BezügerInnen neue Schikanen in Aussicht gestellt.