Chodorkowskis “Steuer-Optimierungs-Schema”
In Teil 2 schauen wir uns näher an, wie die von Michail Chodorkowski und Platon Lebedew gemanagte Yukos Oil den russischen Staat nach Strich und Faden um die Gewinnsteuern betrogen haben. Unter dem Titel „Die Struktur des Steuer-Optimierungs-Schemas“ schildert der Endentscheid des Ständigen Gerichtshofs vom 18. Juli 2014 auf 70 Seiten mit halluzinierender Präzision, wie 2000 – 2003 Milliardenprofite am Fiskus vorbeigeschleust wurden. Alle nachstehenden Daten und Zahlen stammen aus dem Urteil.
Handelsfirmen in russischen Steueroasen
Weltraumbahnhof Baikonour (Kasachstan)
Das Prinzip war einfach: die drei Hauptproduktionsgesellschaften und 100%-Yukos-Oil-Tochterfirmen Yukanskneftegaz, Samaraneftegaz und Tomskneft verkauften ihr gefördertes Öl weder direkt noch über ihre Muttergesellschaft Yukos Oil. Für den Verkauf ins In- und Ausland wurden Handelsgesellschaften in innerrussischen Steueroasen zwischengeschaltet. Diese kauften die Ölprodukte zu Niedrigpreisen auf, um sie zu Marktpreisen weiterzuverkaufen.
Insgesamt listet das Gerichtsurteil 25 Handelsgesellschaften in drei Typen von Regionen auf:
- die ZATO-Territorien Lesnoy, Trekhgorny und Sarov (Armee- und Nuklearzentren der vormaligen Sowjetunion) (11 Firmen);
- „inländische Offshore-Gebiete“ (Mordwinien, Autonomer Kreis der Ewenken, Kalmückien) (13 Firmen);
- Baikonur (Weltraumbahnhof in Kasachstan) (1 Firma).
In diesen Gebieten konnten Neuansiedlungen aufgrund von Wirtschaftsfördermassnahmen bis 2002, teilweise länger, ganz oder teilweise von den regionalen Gewinnsteuern (14.5% bis 19%) befreit werden. Damit fielen auf den erzielten Handelsprofiten weit weniger als die gesamthaft üblichen 24 – 35% an.
Scheinfirmen mit 300 Franken Aktienkapital
Dass es sich bei diesen Handelsunternehmen in Steueroasen – wie das Gericht selber feststellt – um Scheinfirmen („sham companies“) handelt, geht allein schon aus der Kapitalausstattung hervor. Die meisten Firmen – mit Handelsumsätzen von teilweise mehreren 100 Millionen Dollar – wiesen ein Aktienkapital von gerade mal 10‘000 russischen Rubeln (RUR) auf, das entspricht gut 300 Franken. Bei Steuerprüfungen konnten die Behörden oftmals überhaupt keine Aktivposten feststellen, Buchführung und Steuererklärung wurden häufig über Yukos-Gesellschaften in Moskau wahrgenommen.
Unklare Eigentumsverhältnisse – Spuren nach Zypern
Nikosia (Zypern), Drehscheibe für Steuertricks der russischen Oligarchen
Wer diese Zwischenhandelsgesellschaften effektiv kontrollierte und die Gewinne einheimste, ist auch anhand der Gerichtsakten nicht in allen Fällen klar erkennbar. Ein Teil waren deklarierte Tochtergesellschaften der Yukos Oil, andere weisen obskure russische Briefkastenfirmen oder Strohmänner/-frauen als Eigentümer auf. Einzelne gehörten direkt zypriotischen Tochtergesellschaften der Yukos-Mehrheits-Aktionärin GML Limited in Gibraltar (Chodorkowski &Co). Hier fielen die in Form von Dividenden transferierten Handelsgewinne direkt bei Chodorkowski und seinen Mit-Oligarchen an. Das war namentlich der Fall bei der Handelsfirma Fargoil in Mordwinien (Aktienkapital 10‘000 RUR), kontrolliert durch Nassaubridge Management Ltd, und Ratibor im Autonomen Kreis der Ewenken (Aktienkapital 10‘000 RUR), kontrolliert durch Dunsley Limited. Allein auf diese beiden Firmen entfällt mit 4‘341 resp. 462 Millionen Dollar der Löwenanteil der Steuernachforderungen der Russischen Föderation. Obwohl de facto von den russischen Oligarchen kontrolliert, profitierten die Firmen in Zypern zudem aufgrund des Doppelbesteuerungsabkommens Russland-Zypern von der niedrigeren russischen Quellensteuer von 5% statt 15% auf ihren Dividendeneinnahmen.
Steuerspezialisten durchleuchten das GML-Konstrukt
Im Urteil werden auch eine Reihe hochkarätiger Steuerspezialisten zitiert. Der New Yorker Jus-Professor H. David Rosenbloom hat die Chodorkowski-Firmen Hulley, Veteran Petroleum, Dunsley und Nassaubridge (alle in Zypern) näher unter die Lupe genommen. Sein Fazit: alle vier sind reine „Papierfirmen“ unter „totaler Kontrolle“ russischer Staatsbürger, die ausschliesslich von Russland aus operieren. Die Beanspruchung des Doppelbesteuerungsabkommens für die in Zypern vereinnahmten Dividenden – so Rosenbloom – ist ein „eklatantes Beispiel für Steuerabkommens-Missbrauch“. Professor Thomas Z. Lys (Chicago) analysiert als Gutachter die verwirrende Holding- und Kontrollstruktur der GML Limited Gibraltar. Er beschreibt, wie in Hunderten von Transaktionen permanent Yukos-Aktien zwischen den einzelnen GML-Gruppengesellschaften hin und her verschoben wurden; manchmal mehrmals am Tag und jeweils anlässlich der Dividendenausschüttungen durch Yukos Oil. Eine geschäftliche Logik sei hinter diesen Transaktionen nicht zu erkennen. Ausführlich zeigt Lys die Geldflüsse von den russischen Handelsgesellschaften nach Zypern und die British Virgin Islands in den Jahren 2000 – 2003: „Gelder wurden nach einem einheitlichen Schema aus den russischen Niedrigsteuer-Gebieten in Offshore-Einheiten verschoben“. So landeten die Gewinne eines Dutzend Handelsfirmen via Zypern schliesslich bei Laurel auf den British Virgin Islands und dessen einzigen Aktionär Stephen Curtis, CEO der Chodorkowski-Holding GML; der Clou: Yukos besass eine Kaufoption auf alle Laurel-Aktien für einen Rubel…
„Gesetze gebrochen und Steuer-Bestimmungen missbraucht“
Richtertrio in Den Haag (von links): Stephen M. Schwebel, Yves Fortier (Präsident), Charles Poncet (Schweiz)
In seinem Urteil ist der Schiedsgerichtshof zum Schluss gekommen, „dass das vorrangige Ziel des russischen Staates nicht das Eintreiben von Steuern, sondern vielmehr der Konkurs von Yukos und die Aneignung seiner wertvollen Aktiven war“ (Ziffer 756). Gestützt darauf hat es den Yukos-Grossaktionären die bekannte Entschädigung von 50 Milliarden Dollar zugesprochen. Allerdings anerkannte das Gericht ausdrücklich eine erhebliche „Mitschuld“ von Yukos und Chodorkowski und reduzierte deshalb die Entschädigungssumme um 25%. „Yukos‘ Missbrauch der Niedrigsteuer-Regionen durch einige seiner Handelsgesellschaften, einschliesslich der fragwürdigen Inanspruchnahme des zyprisch-russischen Doppelbesteuerungsabkommens“ hätten „in erheblichem Umfang“ zum entstandenen Schaden beigetragen. Zwar hätten alle russischen Oelfirmen Steueroptimierung betrieben, aber Yukos habe „Gesetze gebrochen und die Niedrigsteuer-Bestimmungen missbraucht“ (Ziffern 1611 und 1634).
(Fortsetzung folgt) Zwischenentscheid Schiedsgerichtshof vom 30. November 2009 Endentscheid Schiedsgerichtshof vom 18. Juli 2014