Von Niklaus Scherr
Sowohl der Zwischenentscheid vom 30. November 2009 wie der Endentscheid vom 18. Juli 2014 enthalten eine Fülle höchst informativer, detaillierter und spannender Angaben, wie die russischen Oligarchen Unternehmensprofite und Gewinnausschüttungen ihrer Firmen am Fiskus vorbeimogeln und die Eigentumsverhältnisse gezielt verschleiern.
Im Teil 1 schauen wir uns das Eigentümerkonstrukt genauer an, mit dem sechs russische Oligarchen ihre Mehrheitsbeteiligung an der Yukos Oil Company vor dem Zugriff des russischen Staates zu bewahren suchten. Neben dem Mehrheitsaktionär Michail Chodorkowski waren das seine rechte Hand Leonid Nevzlin (Vize Yukos Oil), der im Juli 2003 kurz vor Chodorkowski verhaftete Platon Lebedew (Vize Yukos Oil), Wladimir Dubow, Michail Brudno (Vize Yukos Oil) und Wassili Schachnowski (Chef der Moskauer Yukos-Filiale). Die meisten kennen sich schon seit den späten 1980er-Jahren als Komsomol-Funktionäre und waren zum Teil schon bei der 1998 fallierten Chodorkowski-Bank Menatep mit dabei.
Das Matrjoschka-Prinzip
Dieses Sextett kontrollierte bis zur Übernahme durch Rosneft und der anschliessenden Zerschlagung (2004-2007) über ein komplexes Firmengeflecht gut 60% der Yukos Oil. Wie bei den ineinander verschachtelten russischen Matrjoschka-Puppen kommt eine immer verwirrlichere Fülle von Gesellschaften, Tochtergesellschaften, Stiftungen und Trusts mit den immer gleichen Besitzern und Nutzniessern zum Vorschein. Die tatsächlichen Ressourcen von Yukos – Produktionsfelder und Raffinerien – liegen in Westsibirien und Bezirk Samara im Süden Russlands an der Grenze zu Kasachstan. Das kontrollierende Kapital vagabundiert dagegen auf dem Papier zwischen der direkt der britischen Krone unterstellten Isle of Man zwischen England und Irland, der britischen Kanal-Insel Guernsey, Gibraltar, den British Virgin Islands, Zypern und Liechtenstein.
Schaltzentrale GML in Gibraltar
Das eigentliche Kontrollzentrum bildet die GML Limited (vormals: Group Menatep Ltd.) mit Sitz in Gibraltar. Bis im Oktober 2003 wurde die GML vollständig von den sechs Oligarchen als alleinigen Aktionären direkt kontrolliert, wobei Chodorkowski als Mehrheitsaktionär fungierte. Am 20. Oktober 2003 übertrugen die Oligarchen ihre einzelnen Direktbeteiligungen auf sechs Trusts nach dem Recht der Kanalinsel Guernsey – mit den schönen Namen Paco/Southern Cross, Draco, Mensa, Auriga, Pictor und Tucana. Vorgängig hatte Chodorkowski bereits am 5. März 2003 seine GML-Mehrheitsbeteiligung von 50% aus der Palmus Stiftung Liechtenstein in den Palmus Trust auf Guernsey eingebracht. Abgewickelt wurde die ganze Verschleierungsaktion – wen wunderts – durch die UBS.
Stifter, Nutzniesser und Kontrolleure in Personalunion
Bei der Gründung eines Trusts, einer nur im angelsächsischen Raum verbreiteten Rechtsform, werden Vermögenswerte vom Gründer (Settlor) einem Trustee (Treuhänder) anvertraut, der sie gemäss den Vorgaben der Trust-Urkunde zugunsten der Beneficiaries (Begünstige, Nutzniesser) verwaltet. Formal gesehen, verfügt der Settlor über keinerlei Einfluss mehr auf den Trust. Er kann aber einen Protector einsetzen, der die Amtsführung des Trustee überwacht und bei gewissen Entscheidungen ein Veto- oder Mitentscheidungsrecht hat. Speziell an unseren GML-Trusts ist nun, dass als Gründer (settlor), Begünstigter (beneficiary) und Überwacher (protector) immer der jeweilige Oligarch fungiert, wobei bei den Begünstigten jeweils noch Familienmitglieder hinzukommen. Damit gibt das Sextett formell sein Eigentum ab, bleibt aber Nutzniesser und Kontrolleur in Personalunion. Um das Ganze noch etwas komplizierter und steuerlich attraktiver zu machen, setzten die jeweiligen Trustees einen Strohmann (nominee) auf den British Virgin Islands als formellen Aktieneigentümer ein.
Russland monierte im Verfahren vor dem Ständigen Schiedsgerichtshof in Den Haag meiner Meinung nach zurecht, dass es sich dabei um vorgeschobene Scheinfirmen handle und sowohl Eigentum wie Kontrolle weiterhin in der Hand der sechs Oligarchen lägen. Das Richter-Trio befand allerdings, bei dem gewählten Trust-Konstrukt handle es sich um eine absolut übliche Standard-Lösung… Alle Details der Operation finden sich im Organigramm im Anhang zum Zwischenentscheid.
Treaty shopping via Zypern
Die eigentumsrechtliche Verschachtelung geht auch auf der anderen Seite weiter. GML hielt die Yukos Oil-Beteiligung nicht direkt. Zunächst wurde dafür die 100%-Tochter Yukos Universal Ltd. (YUL) auf der Isle of Man, einer aufkommenden Steueroase, zwischengeschaltet. Yukos Universal Ltd. (YUL) hielt 60.97% der Aktien der Yukos Oil Company. Direkt allerdings nur mit 2.25%, vor allem aber indirekt über die beiden zypriotischen Tochtergesellschaften Hulley Enterprises (48.72%) und Veteran Petroleum (10%), die zusammen mit YUL im Schiedsgerichtsverfahren als Kläger auftraten. Die Zwischenstation in Zypern ist leicht erklärbar: aufgrund des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Zypern und Russland müssen zypriotische Gesellschaften auf Dividenden aus Russland nur 5% statt der sonst üblichen 15% Quellensteuer entrichten. „Treaty shopping“ – Einkauf in ein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) – heisst das im Fachjargon: ein Investor errichtet als eine Art DBA-Trittbrettfahrer eine Scheinfirma in einem Drittstaat, um von Doppelbesteuerungs-Vorteilen zu profitieren, die ihm in seinem Domizilstaat nicht zustehen. Im Fall der beiden YUL-Töchter auf Zypern geht übrigens aus den Gerichtsakten hervor, dass die Yukos Oil-Dividendenzahlungen jeweils nur einen Tag auf den Konten von Hulley und Veteran Petroleum lagen und dann sofort weitergereicht wurden.
(Fortsetzung folgt) Zwischenentscheid Schiedsgerichtshof vom 30. November 2009 Endentscheid Schiedsgerichtshof vom 18. Juli 2014 Organigramm GML/Yukos-Holding-Struktur nach dem 20. Oktober 2003 (Zwischenentscheid S. 217) (JPG)
Pauschalsteuer-Oligarchen 1: Chodorkowski und die Gibraltar-Connection
Seit Anfang 2014 residiert der von Putin begnadigte Oligarch Michail Chodorkowski pauschalbesteuert in Rapperswil/Jona. Am 18. Juli 2014 hat der Ständige Schiedsgerichtshof in Den Haag den russischen Staat für die faktische Enteignung der von Chodorkowski und fünf Mit-Oligarchen kontrollierten Yukos Oil Company in einem aufsehenerregenden Entscheid zu gut 50 Milliarden Dollar Schadenersatz verdonnert. Die Gerichtsakten enthalten aufschlussreiche Details.