Hohe Stimmbeteiligung
Die Wahlbeteiligung war am 9. Februar 2014 deutlich höher als vor vier Jahren. Grund dafür ist eindeutig die SVP-Initiative gegen die Masseneinwanderung, die mit 55.2% Beteiligung stark mobilisierte. Allerdings nahmen nur drei von vier Abstimmenden auch an der Gesamterneuerungswahl teil. Beim Gemeinderat legten 42.6% (2010: 38.4%) und beim Stadtrat 42.2% (2010: 35.8%) einen gültigen Wahlzettel ein. Dass sich weniger Leute an Wahlen als an Abstimmungen beteiligen, entspricht einem konstanten Trend. Ein Teil des Elektorats übt seine Mitspracherechte grundsätzlich nur über Abstimmungen aus und ist nicht bereit, Entscheidungsmacht an Parteien zu delegieren. Mit 24% war jedoch diesmal der Anteil der Nicht-Wählenden besonders hoch. Das emotional aufgeladene Thema Migration zog offenkundig zusätzliche Protest-Abstimmer an. Besonders deutlich zeigt sich das in den SVP-Hochburgen in Zürich-Nord: im Kreis 11 nahmen 30%, im Kreis 12 gar 32% der Abstimmenden nicht an der Wahl teil.
Starke Mobilisierung in den AL-Hochburgen
Im innerstädtischen Vergleich fällt bei den Gemeinderatswahlen dreierlei auf:
- im Vergleich zum gesamtstädtischen Mittel ist die Beteiligung in den linken Kreisen 3 und 4/5 deutlich höher als üblich (Anti-Blocher-Mobilisierung, die der AL zugute kommt);
- im bürgerlichen Wahlkreis 7/8 liegt die Beteiligung stärker über dem städtischen Durchschnitt als üblich (Anti-Blocher-Mobilisierung und aktive Kampagne der FDP);
- in den SVP-Hochburgen Kreis 9, 11 und 12 liegt die Beteiligung stärker unter dem städtischen Mittel als üblich.
Wolff profitiert vom Bisherigen-Bonus
Bei den Stadtratswahlen wurde Richi Wolff entgegen allen Unkenrufen komfortabel wiedergewählt. Er konnte sich als Letzter der Bisherigen auf Platz 7 behaupten und verwies Filippo Leutenegger mit 56 Stimmen Vorsprung auf Platz 8. Damit bestätigte sich auch für ihn die langjährige Erfahrung, dass Bisherige nur in ausserordentlichen Konstellationen abgewählt werden – etwa wenn sie vergessen gehen und zwischen den Blöcken zerrieben werden (Ruedi Aeschbacher 1994) oder politisch massiv unter Beschuss kommen (Hans Wehrli 1998 im Nachgang zur Klärschlammaffäre). Vergessen ging Richi angesichts der permanenten Wolff-Berichterstattung zweifellos nicht, aber auch das kontinuierliche, rein politisch motiverte Wolff-bashing der NZZ und die aufgebauschten Anti-Wolff-Artikel des Tagesanzeigers blieben folgenlos.
Wolff schöpft linksgrünes Wählerpotential voll aus
Richard Wolff erreichte mit 42‘249 Stimmen ein hervorragendes Ergebnis. Gegenüber seiner Wahl im April 2013 verbesserte er sich um 14‘700 Stimmen. Gesamtstädtisch kam er auf einen Stimmenanteil von 45.3%. Damit schöpfte er rechnerisch zu 98% das Wählerpotential der linksgrünen Parteien SP, Grüne und AL aus, die bei den Gemeinderatswahlen 46.2% erreichten. Natürlich bedeutet das nicht, dass ihm praktisch alle Linksgrün Wählenden die Stimme gegeben haben. Richi hat selbstverständlich auch Stimmen von Grünliberalen und von Bürgerlichen erhalten und umgekehrt haben ihm SP-WählerInnen und Grüne die Stimme verweigert. Die enge statistische Korrelation zeigt jedoch, dass die Wahlempfehlung von SP und Grünen zu einem grossen Teil befolgt wurde. Auch in den einzelnen Wahlkreisen verläuft Wolffs Stimmenanteil mit einer Oszillation zwischen 97% und 100% praktisch deckungsgleich mit dem linksgrünen Wähleranteil bei der Parlamentswahl. Einzige Ausnahme bildet der Kreis 12, wo Richi bloss auf 86% der linksgrünen Stimmen kommt und etwa gleich viel Stimmen macht wie Raphael Golta. In diesem sozial-konservativen Wahlkreis könnte die „Schwarze-Block“-Kontroverse Spuren hinterlassen haben.
Linksgrüne Zauberformel: 4 SP, 1 Grüner, 1 AL
Der profilierte Kandidat der Grünen, Markus Knauss, schaffte zwar das absolute Mehr, blieb aber knapp 5‘000 Stimmen hinter dem letztgewählten Raphael Golta und 7‘000 Stimmen hinter Richi Wolff zurück. Mit einem Stimmenanteil von 37.88% konnte er gesamtstädtisch 82% des linksgrünen Potentials ausschöpfen. Deutlich höhere Anteile erreichte er in den beiden linken Hochburgen Kreis 4/5 (88%) und Kreis 3 (85%), hier wurde das 7er-Ticket geschlossener gewählt. Insgesamt zeigt das Wahlergebnis von Knauss, dass auch Teile der Linken eher zu einem Verteilschlüssel 6 Linksgrüne und 3 Bürgerliche als zu 7:2 neigen. Aus dieser Optik werden der SP als Leadpartei 4 und den anderen linksgrünen Parteien 2 Sitze zugestanden. Mit der Wahl von Richi Wolff im April 2013 hat die AL einen der beiden Nicht-SP-Sitze übernommen. Dieser Verteilschlüssel im Sinne einer „gauche plurielle“ – 4 SP, 1 Grüner, 1 AL – ist am 9. Februar bestätigt worden. Die Nichtwahl von Markus Knauss dürfte nur wenig mit ideologischen Vorbehalten gegenüber der Person, sondern primär mit Proporz-Überlegungen zu tun haben. Zudem war der Anspruch der Grünen auf zwei Exekutivsitze angesichts ihres stagnierenden bis schrumpfenden Wähleranteils schwach fundiert.
Markante Stimmengewinne der AL
Bei den Gemeinderatswahlen steigert die AL die Zahl ihrer Wähler von 3‘500 spektakulär um drei Viertel auf 6‘072. Berücksichtigt man die höhere Stimmbeteiligung, ergibt sich noch eine Steigerung um 54% von 4.18% auf 6.46%. Damit überholt die AL klar die CVP und rückt auf Platz 6 vor. Besonders markant ist die Steigerung in den Kreisen 1+2, 6, 7+8, 9 und 12, wo es der AL jeweils gelingt, ihre Wählerzahlen zu verdoppeln. Aber auch in ihren Hochburgen vermag die AL auf hohem Niveau nochmals zuzulegen: von 6.90% auf 9.76% im Kreis 3 und von 13.15% auf 14.88% im Kreis 4+5.
AL und FDP als Gewinner – SVP bei den Verlierern
Grosse Sieger sind insgesamt AL und FDP, die 2.28% resp. 2.05% zulegen und je drei Sitze gewinnen. Beide waren schon anlässlich der Stadtratsersatzwahl vom letzten Jahr die zentralen Protagonisten. Und am 9. Februar hatten beide ein klares Ziel: die FDP wollte den verlorenen Stadtratssitz zurückholen, die AL den neu gewonnenen verteidigen. Das hat dem Wahlkampf von beiden Schwung gegeben. Zugleich haben beide Parteien je unterschiedlich zur Anti-Blocher-Mobilisierung beigetragen und elektoral davon profitiert: die FDP kämpfte mit wirtschaftsliberalen Argumenten gegen die SVP-Initiative, die AL vertrat konsequent die linke Anti-Diskriminierungs-Position und vermochte viele Secondos anzusprechen.
Auf der Verliererseite stehen die SVP, die – nach Jahren der Stagnation – um 1.29% zurückfällt und zwei Sitze verliert, und die CVP mit einem Rückgang von 1.01% und einem Sitzverlust. Die SVP ist eindeutig das Opfer der von der Masseneinwanderungs-Initiative ausgelösten Gegen-Mobilisierung; die CVP kann als Milieu-Partei bei steigender Stimmbeteiligung nicht mithalten und fällt sogar in absoluten Zahlen zurück. Auch die SP kann die stetige Wählererosion mit einem erneuten Rückgang um 1.14% nicht aufhalten.
Äusserst stabile Blöcke
Markant am Ergebnis ist die grosse Stabilität der Blöcke. Linksgrün (AL-Grüne-SP) legt mit 46.22% gegenüber 45.90% vor vier Jahren nur unwesentlich zu. Der engere „Bürgerblock“ (SVP-FDP-CVP) stagniert mit 38.00% gegenüber 38.25% im Jahr 2010. Nach der Nachzählung und dem Ausscheiden der EVP kommt Linksgrün dank den vier Sitzgewinnen der AL neu auf 62 Sitze (2010: 58) und liegt damit um eine Stimme unter der absoluten Mehrheit, der „Bürgerblock“ erreicht 50 Sitze (+1). Um die für gewisse Abstimmungen (Dringlichkeit, Ausgabenbremse) erforderliche absolute Mehrheit von 63 Stimmen zu erreichen, brauchen sowohl Linksgrün wie SVP-FDP-CVP die Unterstützung der Grünliberalen. Detailstatistik zu den Stadtratswahlen (PDF) Detailstatistik Gemeinderatswahlen 2010-2014 (korrigierte Version, PDF) Wählerzahlen und Wähleranteile AL 2006-2014 (PDF)