Im Fokus steht im Moment die Vergabe der gemeinnützigen Wohnungen. Marco Salvi, Immobilienexperte bei Avenir Suisse, empfiehlt den Zürcherinnen und Zürchern, von Genf zu lernen. Die „surtaxe“ unserer compatriotes, die die Miete automatisch dem Einkommen folgen lässt, hat es ihm angetan. Die Genfer Lösung sei allemal besser als das heutige Zürcher System.
Chrut und Rüebli
Salvis Rezept ist durchschaubar: Er will auch bei den Gemeinnützigen den Markt spielen lassen. Sein Rezept kann aber nicht funktionieren, weil er schon bei den Fakten Chrut und Rüebli durcheinandermischt. In Genf gibt es keine Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus wie in Zürich. Genf gibt kein Bauland zu tragbaren Bedingungen an Genossenschaften ab. Genf subventioniert private Eigentümer, wenn sie ihre Immobilien während zwanzig Jahren als Sozialwohnungen vermieten.
Die so geschaffenen HBM (Habitations Bon Marché) und HLM (Habitations à Loyer Modéré) sind für Genfer Mieter zwar ein Segen. Für den Staat ist das Modell jedoch eine Qual. Wenn die zwanzigjährige Subventionsfrist abläuft, sind die bezahlbaren Wohnungen weg, der Eigentümer kann sie zu Marktpreisen vermieten. Der Staat muss neues Geld einschiessen, um die bezahlbaren Wohnungen zu erhalten oder neue zu subventionieren. Das geht ins Geld.
Auch in Zürich gibt es den sozialen Wohnungsbau. 6‘500 der 50‘000 gemeinnützigen Wohnungen sind mit zinslosen Darlehen von Stadt und Kanton verbilligt. Für diese Wohnungen gelten Einkommens- und Belegungsvorschriften, die so strikt kontrolliert werden wie in Genf. Wenn jemand zu viel verdient, gibt es zwei Möglichkeiten: er erhält entweder die Kündigung oder er muss die volle, kostendeckende Miete bezahlen und die Subvention wird auf eine andere Wohnung übertragen. Der Staat kriegt keine „surtaxe“, dafür kommen Familien, die auf eine bezahlbare Wohnung angewiesen sind, in den Genuss einer solchen. Dieses Rotationsprinzip funktioniert, weil Zürich seit den 1960er-Jahren bewusst darauf verzichtet, ganze Siedlungen zu verbilligen. Gleichzeitig wird damit die soziale Durchmischung und die Integration gefördert.
Die Stadt steht hervorragend da
Zahlen belegen, dass sich das Zürcher Modell bewährt. In den städtischen Wohnungen ist der Wohnflächenverbrauch deutlich tiefer als auf dem privaten Markt. Das gilt auch für die in den letzten fünf Jahren neu erstellten Wohnungen. Alle verfügbaren Indikatoren zeigen auch, dass in den nicht subventionierten kommunalen Wohnungen Haushalte mit einem deutlich tieferen Einkommen leben, als in Wohnungen anderer Eigentümergruppen. Dafür sorgen die vom Gemeinderat 1995 erlassenen Grundsätze der Vermietung, die auch für die Vermietung der nicht mit einem Darlehen verbilligten städtischen Wohnungen gelten. Die Liegenschaftenverwaltung muss bei diesen auf „ein angemessenes Verhältnis von Mietzins und Einkommen“ achten. Zudem sind Personengruppen zu bevorzugen, „die auf dem freien Wohnungsmarkt benachteiligt sind“. Dass die Belegungsvorgaben eingehalten werden müssen, versteht sich von selbst.
Sie kann noch besser werden
Natürlich können solch smarte Vorgaben nicht verhindern, dass städtische Wohnungen im Lauf der Jahre auch von Personen genutzt werden, die sich eine Wohnung auf dem privaten Markt leisten könnten. Das gilt auch für die Genossenschaften, die zwei Drittel ihrer Wohnungen ohne jede staatliche Hilfe gebaut haben und vermieten.
Deshalb macht es Sinn, die Vermietungspraxis zu optimieren. Das Ziel muss sein, dass die mit Beiträgen der öffentlichen Hand geförderten Wohnungen von denen genutzt werden können, die dringend auf eine bezahlbare Wohnung angewiesen sind. Dazu braucht es keine vom Lohn abhängige Mieten und jährliche Lohnkontrollen bei 50‘000 Miethaushalten, wie das Marco Salvi vorschlägt. Zwei andere Massnahmen sind viel wirksamer. Wir müssen auch während des Mietverhältnisses auf die Einhaltung der Belegungsvorschriften achten. Und das Angebot an subventionierten Wohnungen, in denen Einkommensgrenzen gelten und kontrolliert werden, muss erhöht werden.
Walter Angst leitet im die Kommunikationsabteilung des Zürcher Mieterverbandes und ist Gemeinderat der AL
(ungekürzte Fasssung eines Artikels im Tagesanzeiger vom 4. Februar 2014) Blog als PDF
Rattenfänger mit durchschaubarer Absicht
Die Vorschläge, wie die Wohnpolitik der Stadt Zürich besser werden könnte, haben Konjunktur. Meist kommen sie von Leuten, die im freien Markt die Lösung sehen. Ihre Rezepte sollte man kritisch prüfen.