„Wer auch bei Unbequemen differenziert hinsieht und sich nicht vom Mechanismus «Schwarzer Block ist immer Gewalt» leiten lässt, eignet sich für die Polizeileitung besser als einer, der sich auf seine Vorurteile verlässt. Wer genau hinsieht, sieht nämlich auch die Gewalt besser.“ (Koni Loepfe, P.S. vom 30. Januar 2014)
(Niggi Scherr) Zwar sind am 29. Januar 1000 Menschen an die AL-Wahlparty in der Härterei gekommen, zu einem Konzert mit politisch engagierten Liedern von Skor, Baby Jail und Stiller Has – mehr als jede andere Partei in diesem Wahlkampf zu mobilisieren vermag. Richi Wolff hat dort eine engagierte und witzige Rede gehalten. Und Endo Anaconda hat auf den Punkt gebracht, worum es am 9. Februar auch geht: „Es ist ein Glück, in der Schweiz geboren zu sein, aber kein Verdienst“. Aber das sind no news für die gelangweilte Tagi-Crew. Sie braucht härteren Stoff. Sie giert nach einer Wolffs-Jagd.
Richi ist ein bunter Wolff
Richi ist bunt, ein Schnelldenker, eine spannende Persönlichkeit. Keine graue Maus, kein stromlinienförmiger Apparatschik. Er redet nicht im druckreif gedrechselten Polit-Slang. Und er ist offen und dialogbereit. Ein Intellektueller, der zu differenzieren vermag. Einer, der auf die Leute zugeht. Sich nicht hinter dem Schreibtisch verschanzt, wie der Präsident des Polizeibeamtenverbands anerkennend vermerkt. Kurz: eine authentische Person.
Um all das beneiden uns andere Parteien. Und das macht Wolff überaus attraktiv für die Medien. Gleich nach Amtsantritt machte ihm der Tagi den Prozess wegen seiner Söhne, die angeblich in der Hausbesetzer-Szene verkehren. Anfang Dezember geriet er ins Visier der NZZ, weil er es gewagt hatte, Empathie zu zeigen für Secondos, die sich durch die häufigen Polizeikontrollen diskriminiert fühlen.
Tagesanzeiger: Stecken Wolff und Andrea Stauffacher amänd unter einer Decke?
Jetzt aber bringt der Tagi die ganz grosse Kiste: Richi als heimlicher Fan des Schwarzen Blocks.
Ausgangspunkt ist diesmal ein Radio-1-Interview, bei dem Roger Schawinski von Wolff wissen wollte, ob er früher (sic!) auch am 1. Mai dabei war und was er damals (sic!) vom Schwarzen Block gehalten habe. Statt wie von der political correctness gefordert, reflexartig „Chaoten-Saupack“ zu rufen, erlaubte sich Richi eine differenzierte und leicht ironische Charakterisierung: „interessante Ergänzung“. Um auf Schawis Nachfrage sogleich zu präzisieren: „Ich meine nicht den Schwarzen Block per se als zerstörerisch oder gewaltbereit, sondern als Vertretung einer politischen Meinung.“ Womit der AL-Stadtrat unmissverständlich und einmal mehr klar stellte, dass er mit Zerstörung und Gewaltbereitschaft nichts am Hut hat. Aber auch, dass abweichende Meinungen in einer Demokratie Platz haben müssen. Was für alle, die Wolff als Anhänger des Dialogs und der Deeskalation kennen, nichts Neues ist.
Sittenwächter von der Werdstrasse in Aktion
Das reicht, um die Sittenwächter von der Werdstrasse in Marsch zu setzen. „Wolff setzt sich für Schwarzen Block ein“ behauptet der Tagesanzeiger in frechen Lettern auf der Titelseite. Und im Züri-Bund kann man unter einem suggestiven Nachdemo-Bild wörtlich lesen: „Stadtrat Wolff begrüsst ihr Mitwirken am 1. Mai: Autonome bei der Nachdemonstration.“ Dass am Abend Tele-Gilli-Gilli den medialen Saubannerzug fröhlich fortsetzt und tags danach die NZZ Morgenluft für die lendenlahmen Flop5 wittert und Richi flugs „Sympathie für den Schwarzen Block“ unterstellt, überrascht niemanden. Aber irgendwie will der Funke nicht überspringen. Nur die No-Name-SVP-Stadtratskandidatin (im Tagi) und ein profilierungsbedürftiger EVP-Kantonsrat namens des Kapo-Personals (im Tele Züri) lassen sich kritisch vernehmen. Der städtische Polizeibeamtenverband winkt ab. Überall tote Hose: keine empörten Parteicommuniqués, keine Fraktionserklärungen im Gemeinderat. Der ersehnte Aufstand der Basis gegen den vermeintlich klammheimlichen Verbündeten von Andi Stauffacher an den Schalthebeln der Polizei will sich einfach nicht einstellen.
Hohler geht’s nimmer
Jetzt tritt das Tandem Hohler/Rohrer in Aktion und verpasst Richi eine weitere Breitseite. Oberbünzli Stefan Hohler, der sich als Tagi-Gerichtsreporter regelmässig an Sex-and-Crime-Geschichten aufgeilt, füllt nochmals fast eine Seite mit weitgehend Aufgewärmtem. Schliesslich muss das Revier des Polizeireporters gegen die Jungspunde verteidigt werden. Da kann man nur sagen: Hohler geht’s nimmer. Einziger Trost: statt Black Label gibt’s diesmal ein schönes Richi-Föteli.
Schlachtung in der Charcuterie
Auch Redaktions-Oldie Jürg Rohrer greift tief in die Tasten. Zwar bestätigen auch Bürgerliche hinter vorgehaltener Hand, dass Wolff als Polizeichef einen guten Job macht und auch gut mit dem Korps kommuniziert. Trotzdem ist für Rohrer klar: Ein Alternativer passt nicht zur Polizei. Seinem Editorial gibt er den knackigen Titel „Veganer in der Charcuterie“. Die Wortwahl ist bewusst, Rohrer fackelt nicht lange. Hier geht es klar um Metzgerei resp. um Aufschnitt: Richi soll durch den Fleischwolf gedreht werden. Damit muss man in einem Wahlkampf rechnen. Aber dass ein gestandener Tagi-Journalist die Urania allen Ernstes mit einer Metzgerei vergleicht, gibt auch hartgesottenen Linken wie mir schwer zu denken. Da kann ich nur empfehlen: Metzger bleib bei deinem Messer.
Viel Feind, viel Ehr
Und das Fazit aus all dem? 1513 schlug Georg von Frundsberg ein zahlenmäßig vierfach überlegenes venezianisches Heer bei Creazzo vernichtend. Aus dieser Schlacht stammt das Motto „Viel Feind, viel Ehr!“
P.S. Zum Glück gibt es noch Mitglieder der Journalistenzunft, die sich nicht das Hirn vernebeln lassen, wenn Reizwörter fallen. In seinem Kommentar „Gstürm“ hat Koni Loepfe kurz und bündig gesagt, was gesagt werden muss.
Anhang 1:
Was Richi bei Roger wirklich gesagt hat (Radio 1, Doppelpunkt 26. Januar 2014)
„Wolff: Der 1. Mai ist in den letzten paar Jahren, soweit ich mich erinnern kann, und alles, was ich höre, gut verlaufen, ist ruhig verlaufen. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sich daran etwas ändert.
Schawinski: Bist du früher auch an den 1. Mai gegangen?
Wolff: Ich bin immer an den 1. Mai gegangen.
Schawinski: Immer. Und was hast du amigs vom Schwarzen Block gehalten?
Wolff: Ufff… eine interessante Ergänzung.
Schawinski: Eine interessante Ergänzung? Die Kosten für die Stadt verursacht und der Polizei Ärger bringt?
Wolff: Nein, nicht von den Kosten her, aber von der Vielfalt her, von der Buntheit her, von den Meinungen her.
Schawinski: Wenn die Polizisten hören, also deine Mitarbeiter, dass du so über den Schwarzen Block redest, der ihnen am meisten Probleme verschafft am 1. Mai: was meinst du, was sagen die?
Wolff: Ich meine nicht den Schwarzen Block per se als irgendwie zerstörerisch oder gewaltbereit, sondern als Vertretung einer politischen Meinung.“
Anhang 2:
Koni Loepfe: Gstürm (P.S. Vom 30. Januar 2014)
„Der Grossteil der Zürcher Medien und der bürgerlichen Politikerinnen schaffte es, aus einer selbstverständlichen Äusserung Richard Wolffs eine Art Minikampagne gegen ihn zu lancieren. Er hatte sich erdreistet zu sagen, dass der Schwarze Block nicht nur Steine warf und Mist produzierte, sondern auch zur Bereicherung der Meinungsvielfalt beitrug. Sogar am ersten Mai.
Wer die Reihe der offiziellen 1. Mai-Umzüge vor seinem geistigen Auge Revue passieren lässt, kann diese Aussage nur bestätigen: Neben vielen langweiligen Slogans tauchen auch witzige und knallige Aktionen auf, die dem Zuge genauso gut taten, wie die mehr oder weniger braven Sprüche der Gewerkschaften. Wer auch bei Unbequemen differenziert hinsieht und sich nicht vom Mechanismus «Schwarzer Block ist immer Gewalt» leiten lässt, eignet sich für die Polizeileitung besser als einer, der sich auf seine Vorurteile verlässt. Wer genau hinsieht, sieht nämlich auch die Gewalt besser. Erfreulicherweise sah dies der Zürcher Polizeiverband gelassen. Dasselbe gilt im Falle auch gegen Rechts. kl.“
Anhang 3:
Nicht nur Richi hat Demo-Erfahrung
Ein historisches Föteli – das wir aus copyright-Gründen hier leider weglassen müssen – zeigt den schönen Filippo, bestens ausstaffiert mit Gasschutzbrille, neben “Rädelsführer” André Froidevaux von der Revolutionären Marxistischen Liga an der Demo gegen das AKW Gösgen (1977). Damals meist in der ersten, nicht der zweiten Reihe der Demonstrierenden. Wirklich: Einer von uns!